2 Gesetzliche Grundlagen der Assistenz

Julia Berthold

Einleitung

Durch die Einführung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) hat die Erbringung von Assistenzleistungen im Bereich der Behindertenhilfe zunehmend an Bedeutung gewonnen. Bereits die Einführung des Persönlichen Budgets stärkte die Personenzentrierung in der Leistungserbringung und versetzte Menschen mit Beeinträchtigungen zunehmend in eine selbstbestimmte Position. So können sie z.B. als Arbeitgeber:in mit Budgetmitteln Assistenzkräfte einstellen. Assistenzkräfte sind in verschiedensten Lebensbereichen tätig und verhelfen Menschen mit Beeinträchtigungen so zu mehr Teilhabe und einer möglichst selbstständigen Lebens-führung. Somit spielen Assistenzleistungen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK), in der sich die Vertragsstaaten in Artikel 19 dazu bekennen, den Zugang zu «gemeindenahen Unterstützungsleistungen […], einschließlich der persönlichen Assistenz» zu gewährleisten. Hier sei angemerkt, dass das sogenannte Poolen, also das gemeinschaftliche Erbringen von Assistenzleistungen nach § 116 SGB IX, das auch ge-gen den Willen der Personen mit Beeinträchtigungen durchgeführt werden darf, der Selbstbestimmung dieses Individuums entgegenstehen kann.

Durch die Verschiedenartigkeit der einzelnen Assistenzleistungen ergeben sich differenzierte gesetzliche Grundlagen und Möglichkeiten der Finanzierung. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick der Leistungen aus dem SGB IX (Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) gegeben werden. Zudem wird kurz auf die Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes auf die Er-bringung und Finanzierung von Assistenzleistungen eingegangen.

Bundesteilhabegesetz (BTHG)

Das Bundesteilhabegesetz formuliert das Ziel, Menschen mit Beeinträchtigung mehr Teilhabe und Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Die vollständige Umsetzung des Gesetzes soll bis 2023 abgeschlossen sein. Die Umsetzung des BTHG verläuft schrittweise in vier zeitversetzten sogenannten Reformstufen, von denen bis Juni 2021 bereits drei Stufen umgesetzt wurden (vgl. BMAS, 2020).

Ein zentrales Ziel des BTHG ist es, die Erwerbsfähigkeit als Element der Teilhabe zu erhalten. Es verpflichtet die Träger der Rehabilitationsmaßnahmen dazu, Menschen, die von Behinderungen bedroht sind, zu erkennen und präventiv zu handeln, um somit die Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Gleichzeitig soll durch dieses Vorgehen ein höherer Grad an Mitbestimmungsrecht am Arbeitsplatz für Menschen mit Beeinträchtigung ermöglicht werden.

Hierzu soll der Bereich der Eingliederungshilfe zum modernen Teilhabegesetz weiterentwickelt und aus dem Fürsorgesystem herausgelöst werden, wodurch es zu einer Verschiebung der gesetzlichen Grundlage der Fachleistungen aus dem SGB XII (Sozialhilfe) in das SGB IX Teil 2 (Teilhaberecht) kommt. Damit erfolgt ein Übergang vom System der Betreuung zur selbstbestimmten Assistenz, in deren Fokus die personenzentrierte Unterstützung steht. Die erbrachten Leistungen, die als Dienstleistungen verstanden werden, orientieren sich somit am individuellen Bedarf der einzelnen Personen und deren Ressourcen.

Teilhabeplanverfahren (§ 20 SGB IX)

Um Leistungen verschiedener Rehabilitationsträger leichter zugänglich zu machen, ermöglicht das Teilhabeplanverfahren des BTHG, diese durch einen einzigen Rehabilitationsantrag stellen zu können. Nach Antragsstellung muss der hauptsächlich zuständige Rehabilitationsträger das Teilhabeplanverfahren anregen, an dem die leistungsberechtigte Person, eine vertraute Person und alle beteiligten Rehabilitationsträger teilnehmen. Zusätzlich können GutachterInnen z.B. der Bundesagentur für Arbeit, der Jobcenter, der Pflegekasse und des Integrationsamtes hinzugezogen werden. Im Rahmen der Teilhabeplankonferenz, bei welcher der Teilhabeplan besprochen wird, kann außerdem, bei vorliegender Zustimmung der Person mit Beeinträchtigung, ein Austausch aller beteiligten Parteien erfolgen.

Dadurch wird gewährleistet, dass der individuelle Bedarf der leistungsberechtigten Person ganzheitlich ermittelt und deren Wunsch- und Wahlrecht bestmöglich um-gesetzt wird. Ziel ist die Erstellung einer Vereinbarung über die Bedarfsdeckung, die auch die Erbringung verschiedener Assistenzleistungen beinhalten kann. Da-bei muss für Leistungen der Eingliederungshilfe immer ein Gesamtplanverfahren durchgeführt werden, das sozialraum- und zielorientiert und unter durchgehender Beteiligung der Person mit Beeinträchtigung erfolgen muss. Die Gesamtplankonferenz entspricht in der Durchführung der Teilhabeplankonferenz (vgl. Betanet 2020a).

Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) (§ 32 SGB IX)

Damit Menschen mit Beeinträchtigung über ihre Möglichkeiten Bescheid wissen, bietet die ergänzende, unabhängige Teilhabeberatung neben der Beratung durch die einzelnen Träger der Rehabilitation eine Möglichkeit der unabhängigen Beratung zu allen verfügbaren Leistungen zur Teilhabe. Die Beratungsstellen setzen hierbei auf das Peer-Counseling: Menschen mit Beeinträchtigung sind als Bera-tende tätig und klären über bestehende Teilhabeleistungen auf, unterstützen bei der Planung und Beantragung, informieren über Zuständigkeiten und Verfahrens-wege und zeigen die Rechte und Pflichten von Menschen mit Beeinträchtigung auf. Die Beratungsstellen der ergänzenden, unabhängigen Teilhabeberatung sind flächendeckend in ganz Deutschland zu finden und bieten überregional auch spe-zialisierte Angebote für die verschiedenen Formen von Beeinträchtigungen an (vgl. Betanet 2020b).

Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX)

Das SGB IX ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil umfasst Regelungen für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen, wobei zunächst der Behinderungsbegriff definiert und anschließend v.a. Verfahrenswege zur Zuständigkeitsklärung, Bedarfsermittlung und Erstattungen der Rehabilitations-träger untereinander bestimmt werden und das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis begründet wird. Im zweiten Teil (Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen) wird die konkrete Umsetzung – in welchen Bereichen und wie die Leistungen für Anspruchsberechtigte erbracht werden können – geregelt. Hier ist die ehemals im SGB XII verankerte und durch das BTHG reformierte Eingliederungshilfe zu finden. Der dritte Teil beinhaltet mit besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen das sogenannte Schwerbehindertenrecht. Hier werden z. B. Regelungen für Schwerbehindertenvertretungen und Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) getroffen (vgl. DV, o.A. & BRAK, 2020).

Das SGB IX bietet außerdem die Möglichkeit zur Finanzierung von Assistenzleistungen über verschiedene Paragrafen, die im Folgenden kurz beschrieben wer-den.

Persönliches Budget (§ 29 SGB IX)

Beim Persönlichen Budget handelt es sich um eine Geldleistung auf die Menschen mit Beeinträchtigungen einen Rechtsanspruch haben. Diese kann auch in Form von Gutscheinen erbracht werden. Anstelle von Dienst- und Sachleistungen können Budgetnehmer:innen Reha- und Teilhabeleistungen selbst einkaufen – darunter auch Assistenzleistungen. Als Kostenträger kommen hierbei verschiede-ne Träger in Frage. Wenn mehr als ein Träger zuständig ist, dann spricht man vom trägerübergreifenden Persönlichen Budget. Nach Bedarfsermittlung und -feststellung im Rahmen des Teilhabeplanverfahrens wird zwischen Budgetnehmer:innen und dem hauptsächlich zuständigen Kostenträger eine schriftliche Ziel-vereinbarung erstellt, die u. a. die Leistungen, die Höhe des Budgets und die individuellen Leistungs- und Förderziele beinhaltet (vgl. Betanet, 2021a).

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 49 SGB IX)

Unterstützte Beschäftigung (§ 55 SGB IX)

Auch im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung sind Assistenzleistungen möglich, so z.B. die Anleitung am Arbeitsplatz oder eine Assistenz beim Umgang mit dem Kollegium und Vorgesetzten. Die Unterstützte Beschäftigung ist ein Konzept der beruflichen Rehabilitation und Integration, deren Kerninhalte z.B. «die persönliche Berufs- bzw. Zukunftsplanung, […] die Arbeitsplatzanalyse und Anpassung des Arbeitsplatzes, die Qualifizierung im Betrieb (Job- Coaching) sowie die Sicherung des Arbeitsverhältnisses» (BAG UB o.A.) sind.

Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX)

Anspruchsberechtigt sind Menschen mit Beeinträchtigungen, wenn ein Anspruch auf eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) besteht. Neben anderen Leistungen wie einem dauerhaften Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber können hierüber auch Assistenzleistungen finanziert werden (vgl. Betanet 2021c).

Budget für Ausbildung (§ 61a SGB IX)

Anspruchsberechtigt sind Menschen mit Beeinträchtigungen, die einen Anspruch auf Leistungen im Eingangsbereich oder Berufsbildungsbereich einer WfbM haben und zudem in einem sozialversicherungspflichtigen Ausbildungsverhältnis stehen oder dieses beginnen. Neben der Erstattung der Ausbildungsvergütung können über das Budget für Ausbildung auch Assistenzleistungen für die Anleitung und Begleitung am Ausbildungsplatz und in der Berufsschule, die alternativ auch in einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation erfolgen kann, finanziert werden (vgl. Betanet 2021b).

Leistungen zur Teilhabe an Bildung (§ 75 SGB IX und § 112 SGB IX)

Schulassistenzen können als Einzel- oder Gruppenleistungen individuell zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen eingesetzt werden. Hierbei fördern sie die schulische Inklusion und sichern den Besuch der gewünschten Schule, indem sie die SchülerInnen z. B. bei der Kommunikation unterstützen und Assistenz zur Bewältigung des Schulweges, der Raumwechsel, der Unterrichtsaufgaben oder der Toilettengänge leisten. In den Bereich der Schulassistenz gehören darüber hinaus auch Angebote im schulischen Ganztagsange-bot, die schulische und hochschulische Ausbildung, die berufliche Weiterbildung, sowie Praktika und andere Angebote der Aus- und Weiterbildung. Die Schulassistenz kann so auch über den Rahmen der allgemeinen Schulpflicht hinaus in An-spruch genommen werden (vgl. DPWG 2019, S. 15ff.).

Die Leistungen zur Teilhabe an Bildung können auch als Hochschulhilfen von Studierenden mit Beeinträchtigungen genutzt werden, um u. a. Kommunikations-assistenzen, wie Gebärdensprach- und Schrift-Dolmetscher und/oder Studienassistenzen zur Assistenz beim Besuch von Lehrveranstaltungen, von Bibliotheken und bei Herausforderungen der Organisation und Bewältigung des Studienalltags in Anspruch zu nehmen (Deutsches Studentenwerk, 2021),

Leistungen zur Sozialen Teilhabe (§ 76 SGB IX)

Bei vorliegendem behinderungsbedingten Unterstützungsbedarf haben Personen mit Beeinträchtigungen nach § 78 SGB IX einen Rechtsanspruch auf Assistenz-leistungen, die der selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages dienen. Hierbei können «Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung» (§ 78 Absatz 1 Satz 2 SGB IX) und andere erbracht werden.

Nach dieser gesetzlichen Regelung kann auch die sogenannte Elternassistenz erbracht werden. Hierbei handelt es sich um die Unterstützung von Eltern mit Beeinträchtigungen, denen nach Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 UN-BRK eine Unterstützung «bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwortung» zu gewähren ist, die 2018 mit der Umsetzung des BTHG erstmals in Deutschland rechtlich verankert wurde (§ 78 Absatz 1 und 3 SGB IX). Eltern mit Beeinträchtigungen haben einen Rechtsanspruch auf Hilfen zum Ausgleich ihrer behinderungsbedingten Einschränkungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder (vgl. BMAS, 2021, S.88).

Weitere Assistenzleistungen

Wahlassistenz

Auch bei der Stimmabgabe bei Wahlen haben Menschen mit Beeinträchtigungen einen Anspruch auf Assistenz. Die Grenzen dieser Assistenzleistung werden hier-bei durch das Strafgesetzbuch (§ 107a Wahlfälschung StGB) und das Bundes-wahlgesetz (§ 14 Ausübung des Wahlrechts BWahlG) gesetzt.

Assistenzleistungen aus weiteren Sozialgesetzbüchern

Neben dem SGB IX kommen auch weitere rechtliche Grundlagen zur Erbringung von Assistenzleistungen in Frage, so z. B. das SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung), das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) oder das SGB XI (Soziale Pflegeversicherung). Die jeweilige gesetzliche Grundlage und daran anschließend die Finanzierungsmöglichkeiten sind vom individuellen Bedarf und der Situation des Menschen mit Beeinträchtigung abhängig.

Literatur

Lizenz

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