Teil 4: Bildungsplanung

4.1. Bildungsplanung als Problemlöseprozess

Befähigende Bildungsprozesse zu gestalten für Schülerinnen und Schüler mit einer komplexen Behinderung ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Bisher waren bei der Förderplanung primär die Behinderungssituation und die Beteiligungssituation leitend; die Förderschwerpunkte wurde primär aus dem bisher Gelernten (Blick zurück in die Vergangenheit) und den aktuellen Fragestellungen (Blick auf die gegenwärtige Situation) abgeleitet. Neu ist die gemeinsame Orientierung an der Befähigung in der Zukunft, welche auf die Bildungsziele des Lehrplans 21 ausgerichtet ist. Dabei geht es darum, den Bildungsauftrag zu erfüllen, auch wenn die im Lehrplan und in den Lehrmitteln vorgezeichnete Kompetenzaufbauten wenig Orientierung bieten. Neben fachlichen und pädagogischen Kompetenzen baucht es dabei vor allem die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen und die dazu erforderlichen Prozesse gemeinsam mit anderen zu gestalten. Welche Fragen sich in diesem Problemlöseprozess zu beantworten sind, erfahren Sie in diesem Kapitel.

(Förder-)diagnostische Erfassung – Situationsanalyse

In einem ersten Schritt geht es darum, alle relevanten Information zu erfassen und wo erforderlich zu ergänzen. Das Standardisierte Abklärungsverfahren (SAV) erfasst die zentralen Informationen zur Behinderungssituation; diese werden allenfalls durch Fachberichte, Gutachten sowie in der Schule generierte diagnostische Informationen ergänzt.

Im Schulischen Standortgespräch (SSG) werden Probleme und Stärken im Vorbereitungsformular geordnet eingefügt. Durch das Vergleichen der unterschiedlichen Beobachtungen verdichten sich die Befunde und ermöglichen eine umfassende Beschreibung der Beteiligungssituation. Darin werden auch die Stärken des Kindes sichtbar. Zusätzlich erfasst werden muss das Entwicklungs- und Bildungspotential mit Blick auf die Befähigungssituation respektive der Bildungssituation.

Situationsanalyse Leitfragen
Behinderungssituation
  • Sind die diagnostischen Informationen gemäss ICF und ICD strukturiert und vollständig?
  • Gibt es bisher noch nicht diagnostizierte Funktionseinschränkungen?
  • Sind aufgrund vorhandener Funktionseinschränkungen Schwierigkeiten beim Kompetenzaufbau zu erwarten?
Beteiligungssituation
  • In welchen Lebensbereichen zeigen sich Probleme, die angegangen werden müssen?
  • Gibt es Probleme bei der Nutzung der gegenwärtigen Lernangebote?
  • Sind alle relevanten Information zur Lebenssituation des Kindes bekannt?
Bildungssituation
  • Ist die Erfüllung des Bildungsauftrags gemäss Lehrplan 21 gefährdet?
  • Welche sich anbahnenden Fähigkeiten und Fertigkeiten zeigen sich in der Schule, in der Familie, in der Freizeit?
  • Werden die Interessen, Ressourcen und Bereitschaften der Schülerin oder des Schülers in der gegenwärtigen Schulsituation genügend berücksichtigt?

Befähigungsvision konkretisieren – Sinnstiftung und Zielsetzung

Beim Problemlöseschritt «Sinnstiftung und Zielsetzung» geht es um die Analyse und Synthese der erarbeiteten Informationen zur Situationsanalyse. Bezüge müssen hergestellt werden zwischen den (förder-)diagnostischen Informationen und dem Lehrplan 21. Dies erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung, die allein oder gemeinsam im Rahmen eines Gesprächs mit allen Beteiligten stattfinden kann. Im Schulischen Standortgespräch (SSG) ist die Auswahl der Schwerpunktthemen (1. Seite SSG) ein wichtiges Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Die Exploration der Zusammenhänge zwischen Kind um Umwelt (2. Seite SSG) dient einem besseren Verständnis der Beteiligungssituation.

Neu ist in diesem Schritt die Berücksichtigung der Befähigungsbereiche und der Bezug zum Lehrplan. Anhand der sechs Befähigungsbereiche wird eine individuelle Befähigungsvision entwickelt unter Berücksichtigung der im SSG identifizierten Schwerpunktthemen. Sie bilden die Grundlage für die Auswahl der zentralen Kompetenzen und ersten Überlegungen zu bedeutsamen Lerngelegenheiten.

Sinnstiftung und Zielsetzung Leitfragen
Befähigungsvision konkretisieren
  • Welches Befähigungsziel steht im Vordergrund?
  • Wo sehen die Beteiligten einen besonderen Entwicklungsbedarf?
  • Wie können die Interessen, Ressourcen und Bereitschaften des Kindes dabei berücksichtigt werden?
Zentrale Kompetenzen auswählen
  • Welche Kompetenzen und Kompetenzbereiche sind besonders wichtig für die langfristige Befähigung?
  • Wie können diese Kompetenzen mit der Lernsituation des Kindes in Passung gebracht werden? (Elementarisierung, Kontextualisierung, Personalisierung)
  • Welche Aspekte (z.B. Informationen aus den Kompetenzstufen) stehen dabei vor allem im Vordergrund?
Lerngelegenheiten identifizieren
  • Welche Erfahrungen und welches Wissen ist für die Schülerin oder den Schüler in seiner aktuellen Lebenssituation besonders wichtig?
  • Wie können zentrale Themen und Inhalte des Lehrplans 21 erfahrbar gemacht werden?
  • In welchen Lernumgebungen können für den Kompetenzaufbau wichtige Erfahrungen gemacht werden?
  • Welche ausserschulischen Lebenswelten des Kindes bieten ein Potential für den Kompetenzaufbau?

Bildungsplan erstellen – Planung

 

Der Bildungsplan ist die Synthese aller Folgerungen aus «Situationsanalyse» und «Sinnstiftung und Zielsetzung»: Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten, welches Wissen und welche Erfahrungen sowie welche Bereitschaften und Interessen sollen wozu, wo und wie aufgebaut werden?

Planung Leitfragen
Befähigungsbezug
  • In welchen Fach- und Kompetenzbereichen können die Befähigungsziele am besten verfolgt werden?
  • Bezüge können zwischen Fachbereichen und den Befähigungsbereichen hergestellt werden?
  • Welchen Beitrag zur Befähigung leisten die Förderziele?
Kompetenzbezug
  • Welche Kompetenzen sind für die Befähigungsziele von besonderer Bedeutung?
  • Welche Bezüge können zwischen Förderschwerpunkten und Kompetenzerwerb hergestellt werden?
  • An welchen Fähigkeiten und Fertigkeiten kann der weitere Kompetenzaufbau anknüpfen?
Erfahrungsbezug
  • Welches Erfahrungs-(Wissen) soll im kommenden Schuljahr aufgebaut werden? Wo ist dieses im Lehrplan verortet?
  • Welche Feste, Exkursionen, Klassenlager, Theateraufführungen, Konzerte oder andere Anlässe bieten Anlass für bedeutsame Erfahrungen?
  • In welchen Lernumgebungen können die Förderziele am besten verfolgt werden?

Prozessschritte «Ko-kreation und Umsetzung» und «Kontrolle und Evaluation»

Der Lehrplan 21 macht weder zur Gestaltung des Unterrichts noch zur Überprüfung der Bildungsergebnisse Vorgaben. Das Volksschulamt des Kantons Zürich hat aber entsprechende Informationen in den Broschüren zum kompetenzorientierten Unterricht und zum kompetenzorientierten Beurteilen festgehalten. Diese gelten in den Grundzügen auch bei Schülerinnen und Schülern mit komplexen Behinderungen.

Lizenz

Die Anwendung des Lehrplans 21 bei komplexer Behinderung Copyright © im Auftrag des VSA Zürich. Alle Rechte vorbehalten.