Teil 3: Schwerpunkt „Befähigung“

3.2. Befähigung und Diagnostik

Verfügen Sie über alle relevanten diagnostischen Informationen, um eine befähigungsorientierte Förderung zu planen? Sind diese Informationen so organisiert, dass Sie schnell einen Überblick gewinnen, ob eine geplante Aktivität erlernbar, anwendbar und befähigend ist? In diesem Kapitel erfahren Sie, wie diagnostische Informationen  zur Beantwortung dieser Fragen strukturiert sein sollten. Zur Illustration werden die diagnostischen Informationen zu Nils verwendet. Am Ende dieses Kapitels haben Sie die Möglichkeit, die Informationen zu einem eigenen Fallbeispiel einzufügen. Sie können die Word-Vorlage verwenden, um sich bereits während der Bearbeitung Notizen zu machen.

Wo und wie lebt Nils? Informationen zur Lebens- und Schulsituation

Allgemeine Informationen zur Lebens- und Schulsituation sind wichtig, um zu verstehen, in welchen Lebens- und Lernwelten Nils sich bewegt.

Beispiel Nils – Informationen zur Lebens- und Schulsituation

Allgemeine Anmerkungen zur aktuellen Lebenssituationhier klicken

Nils, 5 Jahre alt, Schweizer Nationalität, Deutsch als Muttersprache, hat eine zwei Jahr ältere Schwester, lebt mit seiner Familie in einer Kleinstadt, die Familie unternimmt viel; seit einem Jahr besucht er die Basisstufe der Heilpädagogischen Schule, an 1 Tag ganz-, sonst halbtägig; kommt sehr gerne zur Schule und ist gut aufgehoben in der Klasse. M. ist sein bester Freund.

Erlernbar? Informationen zur Behinderungssituation

Zur Beantwortung der Frage, ob eine Fähigkeit oder Fertigkeit erlernbar ist, muss die Behinderungssituation der Schülerin oder des Schülers verstanden werden. Damit gemeint sind die aktuell kaum veränderbaren Funktionseinschränkungen und die damit verbundenen Einschränkungen beim Ausführen von Aktivitäten, der Partizipation und der relevanten Umweltfaktoren. Zur Erfassung der Behinderungssituation wird die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) sowie allenfalls in Ergänzung dazu die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) verwendet.

Informationen zur Behinderung

Informationstyp Umschreibung
Gesundheitszustand und Körperfunktionen Beeinträchtigungen der Körperfunktionen gemäss ICF, Diagnose(n) gemäss ICF, allgemeiner Gesundheitszustand, Bedarf an Medikamenten
Hilfsmittel, Umweltanpassungen behinderungsspezifische Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Lupe, Kommunikationssysteme), Arbeitsplatzgestaltung, schalldämmende Massnahmen, Zugänglichkeit
Unterrichtsergänzende Massnahmen vorhandene Massnahmen zur Verbesserung der Lernvoraussetzungen und Beteiligungsmöglichkeiten, z.B. pädagogisch-therapeutische oder medizinische Massnahmen

 

Beispiel Nils – Informationen zur Behinderungssituation

Erlernbar – Informationen zur Behinderung  hier klicken

 

Gesundheitszustand und Körperfunktionen

Allg. Entwicklungsrückstand, selten krank, hat eine robuste Gesundheit, die höhere kognitiven Funktionen sind eingeschränkt (konkret-gegenständliche Aneignungsmöglichkeiten mit Symbolik im Übergang zu konkret-vorstellenden Aneignungsmöglichkeiten); ist kurzsichtig  und schielt (Sehfunktionen Strabismus); bei den  neuromuskuloskeletale Funktionen fällt die Beeinträchtigung der Feinmotorik (Muskeltonus) sowie Probleme bei der Koordination der Körperhälften auf. Braucht keine Medikamente.

Hilfsmittel, Umweltanpassungen

Brille (muss richtig sitzen), Unterstützte Kommunikation und TEACCH, sowie klare Strukturierung sind zentral.

Unterrichtsergänzende Massnahmen

Logopädie (1 Lektion alle zwei Wochen)

 

Anwendbar? Informationen zur Beteiligungssituation

Bei der Analyse der Beteiligungssituation steht die Frage im Zentrum, ob die Schülerin oder der Schüler das geplante Lernangebot nutzen und ob die zu erlernende Fähigkeit oder Fähigkeit auch tatsächlich angewendet werden kann. Hierzu braucht es eine Analyse von dem, was die Schülerin oder der Schüler bereits kann, welche Lernsituationen bereits vertraut sind und welche Lernstrategien bereits verfügbar sind. Zum besseren Verständnis der Beteiligungssituation kann geprüft werden, wieweit eine Schülerin oder ein Schüler in bedeutsame Lebenssituationen einbezogen ist. Zur Erfassung können die Lebensbereiche der ICF oder die Kompetenzbereiche des Lehrplans verwendet werden.

Informationen zur Beteiligung

Informationstyp Umschreibung
Aktivitäten in den Lebensbereichen der ICF Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für die Beteiligung an einem Lebensbereich wichtig sind. Das Schulische Standortgespräch generiert diese Informationen im gemeinsamen Gespräch.
Fachbereiche des Lehrplans 21 Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für den Kompetenzerwerb in den Fachbereichen wichtig sind. Im Lehrplan finden sich die entsprechenden Informationen in den Kompetenzstufen.

 

Beispiel Nils – Informationen zur Beteiligungssituation

Anwendbar – Informationen zur Beteiligung hier klicken

 

Aktivitäten in den Lebensbereichen der ICF

Nils kann sich an Ritualen und alltäglichen Situation sowie an visuellen (Fotos) seriellen Abläufen gut orientieren.
Er kann einfache Bedürfnisse sprachlich ausdrücken. Er begleitet angeleitet serielle Handlungen sprachlich. Er kommuniziert in alltäglichen Situationen gerne mit Erwachsenen und Mitschülern.
Im Alltag bewegt er sich sicher auf unebenen Flächen, Treppensteigen gelingt ihm ohne Nachstellschritt. Er greift Dinge mehrheitlich mit dem Faustgriff.
Mit Anleitung kann er sich im Schulalltag selber versorgen. Beim Verschliessen und Öffnen von Jacken, Hosen, etc. ist er auf Hilfe angewiesen.
Er geht von sich aus auf andere Lehrpersonen und Mitschüler/innen zu.

Fachbereiche des Lehrplans 21

Sprache (D.1 Lesen): Er kann aus Fotos und Piktogrammen Informationen entnehmen und sie angemessen umsetzen.
Mathematik (MA.2 Zahl und Variable): Er zählt Dinge und Personen ab, beherrscht die Zahlwortreihe bis 10, Grundfarben kann er benennen.
NMG: Kennt viele Tieren (NMG.2) Kennt viele Nahrungsmittel (NMG.1)

 

Befähigend? Informationen zur Befähigungssituation

Um einzuschätzen, ob eine zwar möglicherweise erlernbare und anwendbare Fähigkeit oder Fertigkeit auch befähigend ist, muss die Frage nach der Verbesserung der Zukunftsaussichten der Schülerin oder des Schülers gestellt werden. Was muss die Schülerin oder der Schüler lernen, damit sie oder er später die grösstmögliche Chance hat, ein selbständiges und selbstverantwortliches Leben zu führen und am gesellschaftlichen Leben mitwirken zu können? Die dazu notwendigen Informationen lassen sich nicht allein aus der Behinderung oder der aktuellen Beteiligungsproblemen ableiten. Zur Einschätzung der Befähigungssituation können die sechs Befähigungsbereiche verwendet werden. Die Informationen zur Befähigung der Schülerin oder des Schülers stellt den Bezug zu den Bildungszielen im Lehrplan 21 her. Hier liegt der Fokus auf dem Verstehen der Bildungssituation.

Informationen zur Befähigung

Informationstyp Umschreibung
Interessen, Bereitschaften, Stärken geliebte Beschäftigungen und Orte, Ressourcen des Kindes, Fortschritte, welche für das Erreichen der Bildungsziele und des Kompetenzerwerbs gemäss Lehrplan 21 relevant sind
Entwicklungs- und Bildungspotenziale Entwicklungsmöglichkeiten, Zone der nächsten Entwicklung, sich anbahnende Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche für das Erreichen der Bildungsziele und des Kompetenzerwerbs gemäss Lehrplan 21 relevant sind

Beispiel Nils – Informationen zur Befähigungssituation

Befähigend – Informationen zur Befähigung hier klicken

 

Interessen, Bereitschaften, Stärken

Hat grosses Interesse an anderen Personen und Tieren, kommuniziert gerne. Besonders gerne hält er sich in der Küche auf. Er interessiert sich für Nahrungsmittel und deren Zubereitung und Veränderungen. Er hantiert gerne mit verschiedenen Werkzeugen (explorieren und experimentieren) und kann dabei verweilen. Es gelingt immer besser einfache Handlungsschritte zu antizipieren.

Entwicklungs- und Bildungspotenziale

Seine Handlungsschemata erweitern sich stark und er kann immer längere Handlungsketten bilden, dabei bereit mehrere Handlungsschritte antizipieren.
Er orientiert sich visuell und es gelingt immer zuverlässiger und besser aus visuellen Anleitungen Informationen zu entnehmen.

Erarbeitung eines eigenen Beispiels
(Zeitaufwand > 30 Minuten)

Relevante Informationen

 

Wählen Sie eine Schülerin oder einen Schüler aus und halten sie die relevanten Informationen zur allgemeinen Lebenssituation, zur Behinderung, Beteiligung und Befähigung fest.

Bitte beachten: Die Notizen werden jeweils nicht abgespeichert. Sie müssen vor Verlassen des Kapitels exportiert werden. Dies kann auf der letzten Seite der drei Notizbücher gemacht werden.

Hier finden Sie eine Word-Vorlage zur Zusammenstellung aller relevanten diagnostischen Informationen (vgl. DVK 2019, S.37, 40, 44).

Im Kapitel 3.3 erhalten Sie Hinweise für eine befähigungsorientierte Förderung.

Lizenz

Die Anwendung des Lehrplans 21 bei komplexer Behinderung Copyright © im Auftrag des VSA Zürich. Alle Rechte vorbehalten.