Teil 3: Schwerpunkt „Befähigung“

3.3. Befähigung und Förderung

Die Befähigung der Schülerinnen und Schüler ist gemäss Lehrplan das ultimative Bildungsziel des Lehrplans 21. Der Kompetenzerwerb dient der Befähigung im Sinne des Bildungsauftrags der Schule. Im Schulalltag ist es deshalb wichtig, sich immer wieder zu fragen, ob die geplanten Aufgaben und Aktivitäten auch tatsächlich zur Befähigung beitragen. Die diagnostischen Informationen bilden den Hintergrund zur Beantwortung der folgenden Fragen:

Befähigungsorientierte Förderung – Zentrale Fragen im Alltag

Befähigend – sinnvoll personalisiert?

Erweitert die Schülerin oder der Schüler langfristig ihre respektive seine Handlungsmöglichkeiten und Erfahrungsmöglichkeiten, wenn diese Aufgabe gelöst werden kann? Welchen Befähigungsbereichen können diese erweiterten Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten zugeordnet werden? Cartoon: Der Affe erweitert seine Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten kaum, weil er schon gelernt hat, auf einen Baum zu klettern (Befähigungsbereich: Erwerben und nutzen). Die Aufgabe ist für ihn nicht befähigend.


Anwendbar – sinnvoll kontextualisiert?

Kann die Schülerin oder der Schüler die zu erarbeitende Problemlösung auch in anderen Situationen anwenden? In welchen Lebensbereichen erweitern sich durch den Erwerb neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten die Handlungs- und/oder Erfahrungsmöglichkeiten? Cartoon: Der Hund und die Robbe können das Benützen einer Rampe zum Überwinden von Höhenunterschieden in zahlreichen Situationen anwenden.


Erlernbar– sinnvoll elementarisiert?

Kann die geplante Aktivität in der Zone der nächsten Entwicklung verortet werden? Tragen die zu erlernenden Fähigkeiten und Fertigkeiten langfristig zu einem Kompetenzaufbau bei? Um welche Kompetenzen handelt es sich? Cartoon: Der Fisch ist philosophisch begabt und lernt, Grunderfahrungen des Lebens wie Scheitern und Abhängigkeit zu beschreiben und zu reflektieren.

Testen Sie die drei Fragen an einem Beispiel

Die Bearbeitung der Vertiefungsaufgabe zum Interview mit Basil Dias gibt Ihnen die Möglichkeit, die drei Fragen (Befähigend? Anwendbar? Erlernbar?) anhand einer konkreten Situation (Schlittschuhlaufen) zu beantworten.

Befähigung: Anregung zur Vertiefung
(Zeitaufwand <10)

Interview mit Basil Dias


Basil Dias, 23 Jahr alt, hat seine kaufmännische Ausbildung an der ETH im E-Profil gemacht, 2018 abgeschlossen und arbeitet zu 20% an der ETH (administratives Personal im Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften). Er absolviert daneben eine dreijährigen Weiterbildung zum Betriebswirtschafter. In seiner Freizeit spielt er Basketball.  Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen, das Sprechen ist erschwert.Im folgenden kurzen Ausschnitt berichtet er von seinen Erfahrungen aus seiner Schulzeit, der Primar- und Oberstufe. Er wurde durchgehend integriert beschult. Er berichtet darüber, was dabei für ihn hilfreich und was eher schwierig war. Dabei kommt zum Ausdruck wie wichtig das Zusammenspiel verschiedenster Faktoren ist, für die Verwirklichung der eigenen Wünsche.

Bitte schauen Sie sich den folgenden Ausschnitt aus dem Videointerview von Ariane Bühler und Judith Hollenweger mit Basil Dias zu seinem Werdegang an. Beantworten Sie im Zusammenhang mit der Situation „Schlittschuhlaufen“ untenstehende Fragen:
Inwiefern ist diese Lernsituation:

  • Befähigend – sinnvoll personalisiert?
  • Anwendbar – sinnvoll kontextualisiert?
  • Erlernbar – sinnvoll elementarisiert?




Entwickeln einer Befähigungsvision und ihre Umsetzung

Sich im Alltag diese drei Fragen bei jeder geplanten Aufgabe oder angestrebten Verhaltensänderung zu überlegen ist unmöglich. Deshalb ist es wichtig, von einer Befähigungsvision auszugehen, die handlungsleitend sein kann. Hinweise zur Vision der Befähigung finden Sie in dieser Lerneinheit unter 1.1. Recht auf eine offene Zukunft, 1.2 Befähigung als Vision des Artikels 24 der BRK, 1.3. Bildungsauftrag.

Von der Befähigungsvision zur Planung des Unterrichts: Die drei Schritte von der Befähigungsvision im Lehrplan 21 bis zur konkreten Aufgabenstellung im Unterricht sind nachfolgend ausgeführt und anhand des Beispiels von Nils illustriert:

Erster Schritt: Langfristige Vision der Befähigung konkretisieren

Die langfristige Vision der Befähigung bezieht sich auf die gesamte Schulzeit und das Leben danach und alle Lebens- und Lernbereiche als Vorbereitung auf ein lebenslanger und lebensweiter Lern- und Bildungsprozess. Für die Bildungsplanung (auf ein Schuljahr ausgerichtet) werden für die Schülerin oder den Schüler relevante Schwerpunkte gesetzt.

Beispiel Nils: Befähigungsschwerpunkte

Vision Befähigung konkretisierenhier klicken

Für das aktuelle Schuljahr werden gemeinsam mit den Eltern und allen beteiligten Fachpersonen folgende Befähigungsschwerpunkte gelegt:

  • Dranbleiben und bewältigen: Nils lässt sich gerne helfen, wenn er gerade nicht mehr weiterkommt. Es ist aber wichtig, dass er lernt, flexibler auf Schwierigkeiten zu reagieren, selbständig Probleme zu überwinden und so Ausdauer bei der Bearbeitung von Aufgaben zu entwickeln.
  • Erwerben und nutzen: Alle Beteiligten möchten, dass Nils bis zum Ende seiner Schulzeit die Sprache nutzen kann, um sich in der Welt zurechtzufinden und mit anderen zu kommunizieren. Deshalb soll er möglichst viele literale Erfahrungen machen, um den Zugang zur Schriftsprache zu finden.
  • Mitbestimmen und gestalten: Nils ist ein geselliges Kind, geht gerne neue Beziehungen ein, zeigt aber noch wenig Initiative beim eigenen Gestalten von etwas komplexeren Handlungsabläufen. Er soll deshalb lernen, Problemstellungen selbständig zu analysieren, Entscheidungen selbst zu treffen und so auch komplexere Prozesse zu gestalten.

Zweiter Schritt: Kompetenzbereiche und Kompetenzen auswählen

In einem zweiten Schritt werden die Kompetenzbereiche und Kompetenzen ausgewählt, welche für die ausgewählten Befähigungsbereiche besonders wichtig sind. Das bedeutet nicht, dass keine weiteren Kompetenzen aufgebaut werden, sondern dass mit dieser Auswahl der direkte Bezug zur Befähigung ausgewiesen wird.

Beispiel Nils: bedeutsame Kompetenzen

Auswahl Kompetenzen und Kompetenzbereichehier klicken

Beispiel Nils: Für das aktuelle Schuljahr werden aufgrund der vereinbarten Befähigungsschwerpunkte folgende Kompetenzen als besonders wichtig betrachtet:

  • «Die Schülerinnen und Schüler können wichtige Informationen aus Sachtexten entnehmen.» (D.2.B1)
  • «Die Schülerinnen und Schüler können Zusammenhänge von Ernährung und Wohlbefinden erkennen und erläutern.» (NMG 1.3)
  • «Die Schülerinnen und Schüler können einfache Problemstellungen analysieren, mögliche Lösungsverfahren beschreiben und in Programmen umsetzen.» (MI.2.2)

Diese Kompetenzen gilt es in der Folge in Abhängigkeit von den Voraussetzungen der Lernenden zu elementarisieren (vgl. Teil 2, 2.1)

  • Nils kann wichtige Informationen aus Bildern, Visualisierungen oder Pictogrammen entnehmen.
  • Nils erfährt den Zusammenhang von Ernährung und Wohlbefinden. Er untersucht Lebensmittel, bereitet angeleitet Mahlzeiten zu, lernt seine Ernährungsgewohnheiten kennen.
  • Nils löst einfache Problemstellungen. Folgt Anleitungen, findet durch Probieren Lösungswege für einfache Problemstellungen aus dem Alltag.

Dritter Schritt: Aufgabenbereiche und Aufgabe planen

Wenn die Kompetenzbereiche oder die Kompetenzen ausgewählt sind, welche als besonders wichtig für die Befähigung betrachtet werden, kann überlegt werden, welche Aufgabenbereiche oder Aufgaben sich besonders eignen würden, um den Kompetenzaufbau zu unterstützen. Diese Konkretisierung wird im Rahmen der Planung des Unterrichts vorgenommen. Unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des Kindes (Behinderungssituation, Beteiligungssituation, Bildungssituation) helfen die folgenden Fragen bei der Ausgestaltung von Lerngelegenheiten:

  • Wer lernt? Voraussetzungen der Schülerin oder des Schülers (Behinderungssituation, Beteiligungssituation)
  • Wozu soll gelernt werden? Befähigung im ausgewählten Befähigungsbereich (personalisiert)
  • Was soll gelernt werden? Kompetenz im Fachbereich (elementarisiert)
  • Wo soll gelernt werden? an Lebenswelt anschlussfähige Lernumgebung (kontextualisiert)
  • Wie soll gelernt werden? passende Auswahl von Modalitäten (Sehen, Hören, Tasten, etc.), von Kommunikationssystemen, mentalen Modellen, Strukturierungen (TEACCH) und Lehrmitteln

Die nachfolgende Abbildung hilft beim Zusammendenken dieser Elemente, so dass eine sinnvolle Lerngelegenheit für die Schülerin oder der Schüler geplant werden kann:

Hinweise zur didaktischen Umsetzung finden Sie in der Broschüre auf den Seiten 35-36 (DVK 2019).

Beispiel Nils: Aufgabenbereiche und Aufgaben

Nils – Schoggicrèmehier klicken

 

Im folgenden Videoausschnitt sehen Sie die Lerngelegenheit, die für Nils geschaffen wurde:




Hier finden Sie die Situationsanalysen für die Fachbereiche Deutsch; Natur, Mensch und Umwelt; Medien und Informatik.
Deutschhier klicken

Natur, Mensch, Gesellschafthier klicken

 

Medien und Informatikhier klicken

 

Erarbeitung eines eigenen Beispiels
(Zeitaufwand < 30 Minuten)

Von der Vision Befähigung zu Kompetenzen und Aufgaben

Erster Schritt:
Wählen Sie eine Schülerin / Schüler aus. Halten Sie die Interessen, Bereitschaften und Stärken sowie die Entwicklungs- und Bildungspotenziale des Schülers oder Schülerin fest. Entwerfen sie eine Befähigungsvision und legen Sie ausgehend von diesen Überlegungen Befähigungsschwerpunkte fest.
Zweiter Schritt:
Legen Sie fest, welche Kompetenzen und Kompetenzbereiche für die ausgewählten Befähigungsschwerpunkte wichtig sind. Mit diesen Kompetenzen soll ein direkter Bezug zur Befähigung ausgewiesen werden.
Dritter Schritt:
Aufgabenbereiche oder Aufgaben planen, die sich besonders eignen, um den Kompetenzaufbau zu unterstützen. Wer lernt was, wozu, wo und wie? (Hier finden Sie eine Vorlage des Situationsmodells, das Sie unterstützen kann.)

Bitte beachten: Die Notizen werden nicht abgespeichert. Sie müssen vor Verlassen des Kapitels exportiert werden. Dies kann auf der letzten Seite des Notizbuches gemacht werden.

Persönliche zusammenfassenden Notizen
(Zeitaufwand < 10 Minuten)

Zusammenfassung Befähigung und Förderung

Bitte beachten: Die Notizen werden nicht abgespeichert. Sie müssen vor Verlassen des Kapitels exportiert werden. Dies kann auf der letzten Seite des Notizbuches gemacht werden.

Im 4. Teil erfahren Sie was das nun für eine lehrplanbasierte Bildungsplanung bedeutet mit Anregungen für die Umsetzung.

Lizenz

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