Teil 1: Lehrplan verstehen

1.3. Bildungsauftrag ist langfristig und breit angelegt

Ist Bildungsbedarf gleichzusetzen mit Förderbedarf? Nein, und es ist wichtig, diese Begriffe auseinander zu halten. Der Bildungsbedarf leitet sich aus dem Bildungsauftrag ab, der Förderbedarf aus der aktuellen Situation der Schülerin oder des Schülers. Förderziele werden für einige Monate festgelegt, die Bildungsziele bleiben über die ganze Schulzeit hinweg bestehen. Förderung ist eine Antwort auf eine festgestellte Problemstellung. Sie basiert auf einem durch die Förderdiagnostik geleiteten Verständnis der Entwicklung bis zum «Hier und Jetzt».

Bildung hingegen erfordert einen Blick in die Zukunft: Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten wird das Kind in seinem Leben benötigen? In welchen Lebenswelten wird es sich zurechtfinden müssen? Mit welchen Menschen muss es zukünftig zusammenleben können? Die kurzfristige Planung auf dem Hintergrund der aktuellen Problemlage muss eingebettet werden in eine langfristige Planung des Bildungsweges hin zur Befähigung. Der Lehrplan sagt: Behaltet die Bildungsziele vor Augen und dann plant «rückwärts» bis zum «Hier und Jetzt»!

Die Schule wird im Lehrplan 21 als Gestaltungs-, Lern- und Lebensraum umschrieben. Ihre zentrale Aufgabe ist es, kultur- und gegenstandsbezogene Erfahrungen zu ermöglichen und dabei grundlegende fachliche und überfachliche Kompetenzen zu vermitteln. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler beim Aufbau von persönlichen Interessen, dem Vertiefen von individuellen Begabungen und in der Entwicklung ihrer individuellen Persönlichkeit ermutigt, begleitet und unterstützt (siehe Lehrplan 21, Grundlagen, Bildungsziele). Aus der Perspektive der Lernenden heisst das, sinnvolle Lerngelegenheiten erhalten und so Kompetenzen erwerben und Erfahrungen machen können, die langfristig betrachtet einen Beitrag zur eigenen Befähigung leisten. Gerade für Schülerinnen und Schüler mit komplexen Behinderungen ist es wichtig, lebenslanges und lebensweites Lernen zu ermöglichen.

Die Entscheidung, welche Kompetenzen für ein lebenslanges Lernen und welche Erfahrungen für ein lebensweites Lernen wichtig sind und welche nicht, ist bei Schülerinnen und Schülern mit komplexen Behinderungen nicht immer einfach. Es braucht dazu eine gute Übersicht über den Lehrplan, ein vertieftes Verständnis der Beeinträchtigungen des Lernens und der Beteiligung am Unterricht sowie die Fähigkeit, Lernangebote an den Handlungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler auszurichten.

Folgende Fragen stellen sich:

  • Auf welchen Fähigkeiten und Fertigkeiten kann ich Bildungsprozesse aufbauen und welche müssen jetzt für den weiteren Kompetenzaufbau unbedingt erworben werden?

Beispiel Nick

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Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=y7ni22kU8SM (ca. bei 14 Minuten) The Butterfly Circus [Short Film HD] By Nick Vujicic

Aus: The Butterfly Circus [Short Film HD] By Nick Vujicic
Die Fertigkeit sich aufrichten können hat Nick den Erwerb zahlreicher Kompetenzen und die Beteiligung an vielen Lebensbereichen ermöglicht. Das Erlernen dieser Fertigkeit wird im Film «The Butterfly Circus» als Schlüsselmoment eingefangen.Man muss nicht mit der evangelikalen Lebensphilosophie von Nick einverstanden sein, aber ohne Zweifel erreichte er, ein für ihn gutes Leben zu führen.

  • Welche Erfahrungen müssen jetzt gemacht werden, um sich später in vielfältigen Lebenswelten aktiv beteiligen zu können?

Beispiel Luc

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Quelle: Reporter SRF 1, 16. 12. 2020

Luc erhält die Möglichkeit, gemeinsam mit angehenden Lehrpersonen Erfahrungen in bisher ungewohnten Bildungssettings zu sammeln und in dieser Umgebung mit anderen zusammen zu lernen.

Ob Luc später tatsächlich in einer Regelschule arbeiten wird oder nicht, steht nicht im Vordergrund. Aber er hat Bildungserfahrungen gemacht, die ihn verändert haben und seine Lernfähigkeit erweitert hat.

  • Wie können Schülerinnen und Schüler ihre Interessen, individuellen Begabungen und ihre Persönlichkeit entwickeln?

Beispiel Chris

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Quellen: Bild links: www.wionews.com;  Bild rechts: triathloninsider

Chris hat sich zum Ziel gesetzt den Ironman zu laufen. Unterstützt von seinen Bezugspersonen plant er die Umsetzung und setzt sich das Ziel, seine Leistung jeden Tag  um 1% zu verbessern. Er lernt sich selber zu regulieren, entwickelt Fähigkeiten mit Rückschlägen umzugehen und darf dabei auch Scheitern. 

Unabhängig davon, ob Chris möglicherweise einmal seine Erfüllung im Ironman findet und Eingang ins Guinnessbuch der Rekorde findet

Zusammengefasst kann der Auftrag der Schule wie folgt umschrieben werden:

  • Fähigkeiten und Fertigkeiten aufbauen (Können),
  • Erfahrungen ermöglichen (Wissen) und
  • Entwicklung von Interessen und Bereitschaften unterstützen (Wollen).
Wo Sie die die Informationen zu „Wissen“, „Können“, „Wollen“ im Lehrplan finden, erfahren Sie im folgenden Kapitel 1.4.
Wie die Fachbereiche erweitert werden können, so dass alle Schülerinnen und Schüler darin Platz finden, wird im Teil 2 dieser Lerneinheit genauer ausgeführt.

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