Fördermassnahmen
Training mit aggressiven Kindern
von Ulrike Petermann und Franz Petermann (2023)
Einsatzbereich
- 6 bis 12 Jahre
- Einzel- und Gruppentraining
- Selektive und indizierte Prävention
Qualitätskriterien
Durchführbarkeit | Theoretische Fundierung | Evaluation | |
---|---|---|---|
Bewertung | Gefüllter Kreis | Gefüllter Kreis | Halb gefüllter Kreis |
Erläuterung | Verständliche Hinweise zur praktischen Umsetzung des Programms. | Theoretische Begründung und nachvollziehbare Ableitung der Vorgehensweise. | Belege aus Einzelfallstudien, Studien mit kleinen Stichprobengrössen oder ohne Kontrollgruppen. |
Inhalt
Das «Training mit aggressiven Kindern» richtet sich an Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren und zielt darauf ab, aggressives und oppositionelles Trotzverhalten abzubauen. Den Kindern werden Verhaltensalternativen aufgezeigt, um ihre sozialen Kompetenzen zu erweitern, sodass aggressives Verhalten zunehmend überflüssig wird.
Die Zielgruppe des Trainings sind Kinder mit aggressivem und oppositionellem Verhalten. Es kann in verschiedenen Kontexten eingesetzt werden, wie in Erziehungsberatung, Psychotherapie, Kinderheimen oder in stationären Settings.
Als Kompakttraining konzipiert, soll das Training mit relativ geringem Zeitaufwand deutliche Veränderungen bei den Kindern und ihren Familien bewirken. In der Regel erstreckt sich das Training über 6 bis 8 Monate, wobei wöchentliche Sitzungen stattfinden. Das Einzeltraining umfasst 8 bis 13 Sitzungen, gefolgt von einem Gruppentraining mit 7 bis 14 Sitzungen. In Kleingruppen von 3 bis 4 Kindern wird sozial kompetentes Verhalten durch Rollenspiele eingeübt.
Zentrale Bestandteile des Trainings sind der Beziehungsaufbau, die Verhaltensmodifikation im Sinne der klassischen Lerntheorie, der Einsatz von Wahrnehmungs- und Rollenspielen sowie eine begleitende Eltern- und Familienberatung.
Das Training ist in verschiedene Module unterteilt, die jeweils spezifische Ziele verfolgen:
Einzeltraining
- Modul: Auseinandersetzung mit aggressivem Verhalten
- Modul: Einführung in Selbstverbalisationstechniken
- Modul: Förderung der differenzierten Wahrnehmung und des Einfühlungsvermögens
- Modul: Genaues Beschreiben von Konflikten und Problemen
- Modul: Unterscheidung zwischen gerechtfertigten und ungerechtfertigten Konsequenzen
Gruppentraining
- Modul: Kennenlernen der Kinder und Wiederholung der Themen des Einzeltrainings
- Modul: Erarbeiten von Regeln für strukturierte Rollenspiele
- Modul: Üben des Einfühlungsvermögens
- Modul: Differenzierte Wahrnehmung von Ausdrucksformen von Wut
- Modul: Erkennen der Auswirkungen von Lob, Nichtbeachtung und Tadel
- Modul: Finden positiver Konfliktlösungen Training der Selbstwahrnehmung
- Modul: Stabilisierung von angemessenem Verhalten
Eltern- und Familienberatung
- Modul: Verstehen aggressiven Verhaltens
- Modul: Effektive Aufforderungen formulieren
- Modul: Bearbeiten von Kommunikations- und Erziehungsproblemen
- Modul: Stabilisierung positiver Veränderungen in der Familie
Zwischen 8 und 12 Wochen nach Abschluss des Trainings ist eine Nachkontrolle vorgesehen, idealerweise unter Einbeziehung der gesamten Familie. Dabei wird überprüft, ob die positiven Veränderungen sowohl im Verhalten des Kindes als auch im Elternverhalten stabil geblieben sind.
Durchführbarkeit
Das Manual bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Ausdrucksformen, den Verlauf, die Diagnostik und die Erklärungsansätze zu aggressivem Verhalten. Im Anschluss werden das Einzeltraining, das Gruppentraining sowie die Eltern- und Familienberatung mit ihren jeweiligen Elementen und Modulen beschrieben. Abschliessend enthält das Manual praktische Hinweise zur Durchführung des Trainings in weiteren Settings, wie etwa im schulischen Kontext, im stationären Bereich oder in der Elternberatung. Die Trainingselemente sind flexibel und modular einsetzbar. Zum Material gehören das Trainingsmanual mit Arbeitsblättern sowie Videosequenzen; zusätzlich sind die im Training genutzten Kapitän-Nemo-Geschichten separat erhältlich (Petermann, 2024).
Theoretische Fundierung
Das Training beinhaltet gemäss den Ausführungen im Manual ein lerntheoretisch begründetes Vorgehen. Zur Beschreibung aggressiven Verhaltens wird das Prozessmodell von Kaufmann (1965) herangezogen, das vier unbewusst durchlaufene Stufen bei Aggression identifiziert: 1) Wahrnehmung, 2) Handlungsauswahl und Gewohnheitsstärke, 3) Hemmungspotentiale sowie 4) Vorwegnahme und Bewertung möglicher Konsequenzen. Diese Stufen bilden eine Kette von Faktoren, die Aggression auslösen können. Für jede dieser Stufen lassen sich spezifische Interventionsmöglichkeiten ableiten, wobei die grösste Wirkung erzielt wird, wenn das Training auf der frühesten Stufe ansetzt.
Die Therapieziele des Trainings orientieren sich an diesem Prozessmodell. Zu den zentralen Zielen gehören die Förderung von Ruhe und Entspannung als grundlegende Voraussetzung, eine differenzierte Wahrnehmung (Stufe 1), angemessene Selbstbehauptung als Alternative zu aggressivem Verhalten (Stufe 2), Kooperation und helfendes Verhalten als alternative Verhaltensweisen (Stufe 3), Selbstkontrolle zur Hemmung aggressiver Impulse (Stufe 3) und Empathiefähigkeit, um die Konsequenzen des eigenen Handelns aus der Perspektive des Gegenübers zu bewerten (Stufe 4).
Evaluation
Zur Evaluation des «Trainings mit aggressiven Kindern» gibt es mehrere Wirksamkeitsstudien in verschiedenen Settings, die im Manual beschrieben sind (Petermann & Petermann, 2023).
Das Training wurde bis 2005 von der Arbeitsgruppe um Ulrike und Franz Petermann mit 280 Kindern und deren Familien durchgeführt. In einigen dieser Einzelfallstudien konnten Langzeitbeobachtungen über zwei Jahre nach Trainingsende erfolgen.
Bei etwa der Hälfte der Kinder zeigte das Einzeltraining allein eine Abnahme aggressiven Verhaltens. In Kombination mit der Elternarbeit führten die Interventionen zu nachhaltigen Veränderungen in Schule und Elternhaus. Zusätzlich konnte durch das Gruppentraining eine Abnahme der Aggressivität und Anspannung mit gleichzeitiger Zunahme von positiver Emotionalität, Verantwortungsübernahme, Kooperation und Einfühlungsvermögen berichtet werden. Bei ca. 90% der Kinder liessen sich stabile Effekte des Trainings nachweisen.
Ab 2007 führten mehrere Arbeitsgruppen um den Autor und die Autorin Wirksamkeitsstudien in verschiedenen Settings (Schulkontext, Erziehungsberatung, u.a.) durch. Diese Studien bestätigten die Ergebnisse der Voruntersuchungen, indem sie eine Verringerung aggressiven Verhaltens und eine Zunahme prosozialen Verhaltens nachweisen konnten (Petermann et al., 2007; 2008; 2010; 2013). Kritisch anzumerken sind jedoch die jeweils eher geringe Stichprobengrösse der Studien (zwischen 13 bis 22 Kinder) und teilweise das Fehlen einer Kontrollgruppe.
Literatur
- Kaufmann, H. (1965). Definitions and methodology in the study of aggression. Psychological Bulletin, 64, 351–364.
- Petermann, U. (2024). Die Kapitän-Nemo-Geschichten (22. korr. Aufl.). Hogrefe.
- Petermann, U., Kamau, L., Nitkowski, D. & Petermann, F. (2013). Die Effektivität des Trainings mit aggressiven Kindern im Rahmen einer Hochschulambulanz. Kindheit und Entwicklung, 22(3), 174-180. https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000114
- Petermann, U., Krummrich, M. Z., Meier, C., Petermann, F. & Nitkowski, D. (2010). Das Training mit aggressiven Kindern als schulbasiertes Präventionsprogramm. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 57(2), 132-143. http://dx.doi.org/10.2378/peu2010.art10d
- Petermann, U., Nitkowski, D., Polchow, D., Pätel, J., Roos, S., Kanz, F. J. & Petermann, F. (2007). Langfristige Effekte des Trainings mit aggressiven Kindern. Kindheit und Entwicklung, 16(3), 143-151. https://doi.org/10.1026/0942-5403.16.3.143
- Petermann, F. & Petermann, U. (2023). Training mit aggressiven Kindern (14. vollständig überarbeitete Aufl.). Beltz.
- Petermann, F., Petermann, U., Besier, T., Goldbeck, L., Büttner, P., Krause-Leipoldt, C. & Nitkowski, D. (2008). Zur Effektivität des Trainings mit aggressiven Kindern in Psychiatrie und Jugendhilfe. Kindheit und Entwicklung, 17(3), 182-189. https://doi.org/10.1026/0942-5403.17.3.182
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Letzte Änderung: 05/2024
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