Fördermassnahmen
Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern
von Gerhard W. Lauth und Peter F. Schlottke (2019)
Einsatzbereich
- Kinder von 6 bis 12 Jahren
- Als Einzeltherapie konzipiert, kann jedoch auch in Kleingruppen durchgeführt werden
- Universelle, selektive und indizierte Prävention
Qualitätskriterien
Durchführbarkeit | Theoretische Fundierung | Evaluation | |
---|---|---|---|
Bewertung | Gefüllter Kreis | Gefüllter Kreis | Gefüllter Kreis |
Erläuterung | Verständliche Hinweise zur praktischen Umsetzung des Programms. | Theoretische Begründung und nachvollziehbare Ableitung der Vorgehensweise. | Überzeugende Belege zur Wirksamkeit. |
Inhalt
Das Programm zielt auf Kinder mit einer diagnostizierten Aufmerksamkeitsstörung ab. Es kann auch präventiv in Fördergruppen, Schulklassen oder Vorschuleinrichtungen eingesetzt werden.
Das Therapiekonzept zielt darauf ab, das Verhalten des Kindes positiv zu beeinflussen, neue Verhaltensweisen zu erlernen und die Übertragung dieser Fertigkeiten in den Alltag durch Eltern und Lehrpersonen zu unterstützen. Die Therapie setzt sich aus vier Therapiebausteinen zusammen, die jeweils mehrere einstündige Sitzungen umfassen:
- Basistraining zur Selbstregulation (16 Sitzungen): Hier erwerben die Kinder spezifische Fähigkeiten wie genaues Beobachten, Zuhören, Nacherzählen und das Wiedergeben von Beobachtetem. Zusätzlich wird an der Kontrolle von Reaktionen gearbeitet (z.B. «Halt Stopp, innehalten und prüfen!»).
- Strategietraining zur Verhaltensorganisation (16 Sitzungen): Hier entwickeln die Kinder anhand von Hilfsmitteln wie Signalkarten strukturierte Verhaltensweisen, die ihnen helfen, Aufgaben zu planen und durchzuführen, z.B. mit Fragen wie «Was ist meine Aufgabe? Ich mache mir einen Plan!».
- Elternberatung (6 Sitzungen) und
- Lehrpersonenberatung (nach Bedarf und Möglichkeit): Für die Zusammenarbeit mit den Eltern und Lehrpersonen gilt es, ihnen konkretes und alltagspraktisches Wissen über ADHS und dessen Ursachen zu vermitteln (Psychoedukation). Durch gezielte Verhaltensberatung werden sie dazu angeleitet, ihr eigenes Verhalten im Alltag anzupassen und die Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen effektiv zu unterstützen.
Durchführbarkeit
Das Handbuch bietet detaillierte Beschreibungen zu den einzelnen Trainingseinheiten, umfasst Videoclips, die als Einführung in das Basis- und Strategietraining dienen, und enthält eine umfangreiche Sammlung von Arbeitsblättern zur praktischen Anwendung.
In ihrer Rezension kommt Christiansen (2021, S. 46) zum Schluss, dass es sich bei der aktuellen Ausgabe des Trainings um «eine sehr ansprechend gestaltete und gewinnbringende Überarbeitung des Trainings (handelt), das im therapeutischen Kontext hervorragend anwendbar ist und neben den Therapiebausteinen ausführliche Hintergrundinformationen liefert. Die Online-Materialien sind leicht zugänglich und können für die Diagnostik und Therapie gut genutzt werden.»
Theoretische Fundierung
Der erste Teil des Handbuches bietet eine detaillierte Einführung in die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und präsentiert den aktuellen Stand der Forschung. Es wird auf biologische und neurophysiologische Risikofaktoren sowie auf die Wechselwirkungen mit der Umwelt eingegangen. Auf dieser Grundlage werden wichtige Hinweise zur Diagnostik und Therapie abgeleitet.
Im zweiten Teil des Buches wir die Durchführung der Diagnostik und die Planung der Therapie im Sinne einer kognitiven Verhaltenstherapie beschrieben. Für das Training wird eine Vielzahl therapeutischer Techniken, darunter kognitives Modellieren, Selbstinstruktionstraining, Modellierungsdialoge, Einüben des Verhaltens und operante Verstärkung besprochen.
Evaluation
Das Training wurde in mehreren Studien evaluiert. Im Handbuch wird in einem eigenen Kapitel darauf eingegangen (Lauth & Schlottke, 2019, S. 230ff.). An dieser Stelle werden einige Evaluationsstudien aufgeführt.
In seiner Habilitationsschrift verglich Schlottke (1984) das Basistraining, das Strategietraining und eine Kontrollgruppe miteinander (jeweils n = 18). Die Ergebnisse zeigten eine Wirksamkeit des Basis- und Strategietrainings im Vergleich zur Kontrollgruppe in Eltern- und Lehrerberichten zum Alltagsverhalten und der Selbstständigkeit sowie in Aufmerksamkeitstests.
Lauth (1996) führte eine Studie mit 55 Grundschülern durch, die Lern- und Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen aufwiesen. Diese wurden zufällig einer von drei Gruppen zugeordnet: ausschliesslich Strategietraining, Strategietraining kombiniert mit Elternanleitung, oder einer Kontrollgruppe, die lediglich Material bearbeitete ohne strategische Anleitung (jeweils n = 19). Zum Abschluss des Trainings wiesen die Kinder in den beiden Interventionsgruppen verbesserte Fähigkeiten in Problemlöserreflexivität, höhere Werte Intelligenztests, eine bessere Organisiertheit im Vorgehen und mehr korrekte Lösungen bei Problemlöseaufgaben auf. Lehrpersonen bemerkten zudem eine gesteigerte Sorgfalt und Bedachtheit. Kinder, die am Strategietraining mit Elternanleitung teilnahmen, erzielten darüber hinaus bessere Ergebnisse in einem allgemeinen Schulleistungstest. Die Einschätzungen der Eltern zeigten allerdings keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den drei Gruppen.
Zwei Langzeitstudien (Linderkamp, 2002; Naumann, 2000) mit Stichprobengrössen von n = 22 bzw. n = 34 untersuchten die Nachhaltigkeit des Trainingsprogramms, das mit durchschnittlich 12 Sitzungen und einer intensiven Elternbegleitung durchgeführt wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass auch ein bis zwei Jahre nach Abschluss des Programms noch Langzeiteffekte erkennbar waren und eine Mehrheit der Kinder keine klinisch relevanten Störungssymptomatik mehr aufwies. Es muss jedoch angemerkt werden, dass diese Studien ohne Kontrollgruppen durchgeführt wurden.
Dreisörner (2006) führte eine Studie mit Kindern mit vorrangig einer Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität durch. 14 Kinder absolvierten das Basistraining, 20 Kinder das Basistraining plus ein Strategietraining, und 15 Kinder waren in der Wartekontrollgruppe. Die Wirksamkeit des Basistrainings und des erweiterten Basistrainings mit Strategietraining konnte in Bezug auf die Kernsymptome der ADHS unter den gegebenen Bedingungen nicht hinreichend belegt werden. Dreisörner (2006, S. 265) merkt an, dass diese Ergebnisse im Vergleich zu denen der Programmentwickler eher bescheiden ausfallen, was jedoch nicht unüblich ist: «Experten einer Therapieform und insbesondere Entwickler eines Verfahrens erzielen in der Regel bessere Ergebnisse als andere Anwender (Scheithauer & Petermann, 2003)». Lauth und Schlottke (2007) reagierten auf diese Studie und diskutierten verschiedene methodische und konzeptionelle Mängel. Sie kommen schliesslich zum Fazit, dass die Studie von Dreisörner (2006) keine verwertbaren Daten liefert, sondern allenfalls «ein Anstoss sein (kann) für eine geeignete Praxisforschung im Sinne von Alltagstauglichkeit» (Lauth & Schlottke, 2007, S. 156).
Christiansen et al. (2014) führten eine Studie mit 58 Kindern mit ADHS durch, die zufällig entweder einer Neurofeedback-Behandlung oder dem Training für aufmerksamkeitsgestörte Kinder zugewiesen wurden. Laut den Einschätzungen von Eltern und Lehrpersonen verbesserten sich die ADHS-Symptome der Kinder in beiden Gruppen. Es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt.
Literatur
- Christiansen, H. (2021). Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 50(1), 45–46. https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000614
- Christiansen, H., Reh, V., Schmidt, M. H. & Rief, W. (2014). Slow cortical potential neurofeedback and self-management training in outpatient care for children with ADHD: Study protocol and first preliminary results of a randomized controlled trial. Frontiers in Human Neuroscience, 8. https://doi.org/10.3389/fnhum.2014.00943
- Dreisörner, T. (2006). Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Gruppenprogramme bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS). Kindheit und Entwicklung, 15, 255–266. https://doi.org/10.1026/0942-5403.15.4.255
- Lauth, G. W. & Schlottke, P. F. (2007). Wenn man sich schon in die Praxis begibt …. Kindheit und Entwicklung, 16(3), 152–157. https://doi.org/10.1026/0942-5403.16.3.152
- Lauth, G. W. & Schlottke, P. F. (2019). Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Beltz.
- Lauth, G. W. (1996). Effizienz eines metakognitiv-strategischen Trainings bei lern- und aufmerksamkeitsbeeinträchtigten Grundschülern. Zeitschrift für Klinische Psychologie, 25, 21–32.
- Linderkamp, F. (2002). Katamnestische Untersuchung zum Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin, 23, 53–73.
- Naumann, K. (2000). Katamnestische Untersuchung eines kognitiv-behavioralen Therapieprogramms für aufmerksamkeitsgestörte Kinder. Ein- bis Zwei-Jahres Follow-up. Unveröffentlichte Diplomarbeit an der Universität Köln.
- Scheithauer, H. & Petermann, F. (2003). Wirksame und effektive psychotherapeutische Interventionen im Kindes- und Jugendalter. In F. Petermann (Hrsg.), Kinderverhaltenstherapie. Grundlagen, Anwendungen und manualisierte Trainingsprogramme (2., völlig veränd. Aufl., S. 328-357). Schneider.
- Schlottke, P. F. (1984). Psychologische Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern. Unveröffentlichte Habilitationsschrift an der Universität Tübingen.
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Letzte Änderung: 04/2024
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