I. Unterricht
Verhalten
«Dieses Kind stört andauernd meinen Unterricht!»Verhaltensauffälligkeiten können die Tragfähigkeit der integrativen Schule herausfordern und Lehrpersonen belasten. Drei Grundannahmen sind wichtig:
Haben Sie oder die Lehrpersonen oder Schüler:innen und deren Eltern den Eindruck, wenn ein:e Schüler:in nicht mehr in der Klasse wäre, wäre alles besser? Dann erleben Sie «Sündenbockdynamiken» in Ihrer Klasse. Verhaltensprobleme werden gerne ausschliesslich Schüler:innen zugeschrieben und damit dem Sozialen entzogen, obwohl es sich um soziale Dynamiken handelt.
«Je gemischter eine Klasse ist, desto weniger schwierig ist sie. Gemischt im Sinne von: Kinder mit unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen.»
Prof. Dr. Dennis Hoevel → Zum Interview
Setzen Sie sich dafür ein, den:die Schüler:in in der Klasse zu behalten. Aber unbedingt nicht als Aufgabe einer einzelnen Lehrperson.
- Zuerst muss die Situation soweit entlastet werden, dass die Lehrpersonen bereit sind, zu lernen.
- Wenn Sie jedoch das Problem ausschliesslich delegieren, wird sich das Unterrichssystem nicht ändern und das Problem kann sich erneut in einer neuen Gruppenkonstellation zeigen.
- Unterstützen Sie die Lehrpersonen, mögliche Angriffe nicht persönlich zu nehmen und tief Luftholen zu üben, bevor reagiert wird. Damit können wiederkehrende Abwärtsspiralen durchbrochen werden.
- Unterstützen Sie das Klassensystem unmittelbar zur Verbesserung der Situation – mit dem Fokus auf Classroom-Management und der kollegialen Fallberatung (siehe unten).
- Schüler:innen mit belastender Geschichte benötigen die Zusammenarbeit des ganzen Schulhauses, um getragen zu werden. Auch müssen dazu Emotionen der Lehrpersonen thematisiert und bearbeitet werden.
Klassenführung
Das Classroom-Management gehört zu den Tiefenstrukturen des Unterrichts. Es handelt sich bei guter Klassenführung also nicht um eine oberflächliche Umsetzung von klaren Abläufen und Formalia, sondern um die Gestaltung vom Umgang miteinander und der Stärkung der gemeinsamen Aufgabe: In Kooperation zu lernen.
Gerade bei herausforderndem Verhalten lohnt es sich, hier anzusetzen. Der Fokus muss dabei auf der Lernaktivität, die für Schüler:innen sinnvoll erscheint, und hohen Lernzeit der Schüler:innen liegen. Denn wenig Leerlauf und ziellose Aktivitäten im Unterricht verunmöglichen, originelle Verhaltensweisen zu zeigen.
- Thematisieren Sie mit der Lehrperson die Kassenführung über eine Spinnenanalyse oder den → LDK – Linzer Diagnosebogen für Klassenführung.
Super- und Intervision (Kollegiale Fallberatung)
- Supervision: Bei anderen Berufen mit Menschen ist Supervision institutionalisiert – in der Schule nicht. Insbesondere bei Verhaltensproblemen sollten Sie unbedingt eine supervisorische Begleitung ermöglichen.
- Kollegiale Fallberatung: Unterstützen Sie das Lehrpersonenteam, eine Kollegiale Fallberatung (Instrumente siehe unten) durchzuführen. Diese kann auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit festigen. Organisieren Sie wenn möglich eine externe Begleitung, die ab und zu die Intervisionen begleitet und einen hilfreichen Ablauf einführt.
- Biographie: Nehmen Sie es ernst, wenn Sie merken, dass eine Lehrperson bei Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten über die eigene Biographie stolpert. Vulnerable Schüler:innen kennen aus guten Gründen unsere emotionale Achilles-Ferse. Unterstützen Sie dann die Lehrperson, die → eigenen blinden Flecken aufzudecken.
Prävention und Förderung
Es ist wichtig, nicht nur zu reagieren, sondern auch zu agieren: Prävention und Förderung sollte in noch nicht stark verfahrenen Situationen praktiziert werden.[3]
- Klassenrat: Klassenrat ermöglicht, soziale Themen in der Klasse anzusprechen und gemeinsam das Zusammenleben zu thematisieren. Der Klassenrat sollte so institutionalisiert sein, dass er in einer Klasse regelmässig jede Woche zur gleichen Zeit stattfindet. Da er in den meisten Schulen schon länger dazugehört, ist es sicher sinnvoll, über die Qualität in Diskussion zu kommen und neue Impulse zu geben.
- Prävention: Es kann auch eine → universelle präventive Fördermassnahme im Klassenunterricht eingesetzt werden, um die emotionalen und sozialen Kompetenzen der Schüler:Innen zu stärken und Verhaltensauffälligkeiten möglichst zu reduzieren, bevor sie zum Problem werden.
ACHTUNG: Auch ein evidenzbasiertes Programm muss auf die jeweilige Situation angepasst werden. Die Qualität liegt nicht im Programm an sich, sondern in der konkreten Umsetzung. - Elternarbeit: Die Bearbeitung von Herausforderungen im Bereich Verhalten müssen gemeinsam mit den → Eltern angegangen werden. Denken Sie jedoch daran: Nicht die Eltern haben das Problem der Schule zu lösen und sind an allem Schuld.
Unterstützung und Fachstelle
Schulinterne Unterstützung
- Für die Elternarbeit hilft die Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit / Schulsozialpädagogik.
- Unterstützen Sie Kollegiale Beratung durch die Einrichtung von festen Intervisionsteams im Schulhaus.
Fachstelle Verhalten und Lernen
Die → Fachstelle Verhalten und Lernen ist eine niederschwellige Anlaufstelle für Fragen rund um Verhaltensauffälligkeiten, Lernschwierigkeiten und herausfordernden Situationen in der Schule.
Weiterbildungen
Weiterbildungen finden sich im → Weiterbildungsplaner.
Volksschulgesetz Kanton Zürich (VSG)
§ 33. Die sonderpädagogischen Massnahmen dienen der Schulung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. Die Schülerinnen und Schüler werden wenn möglich in der Regelklasse unterrichtet.
§50, Abs. 1: Der Schulbetrieb orientiert sich am Wohl der Schülerinnen und Schüler.
Instrumente und Screenings
Intervision / Kollegiale Fallberatung
- Für kurze Fallberatungen (30′) eignet sich der → Leitfaden Kollegiale Beratung der Stadt Zürich.
- Ein → Intervisionsleitfaden findet sich im Baustein 5 aus dem Projekt Zusammenarbeit an Schulen.
Screenings können helfen, sich einen Überblick über Verhalten und Erleben in der Klasse zu verschaffen.
- Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ): Ein kostenloses und frei zugängliches Screening für Lehr- und Fachpersonen, Eltern und Schüler:innen (Selbsteinschätzung möglich ab 11 Jahren). Es handelt sich um ein Screening zu Stärken (prosoziales Verhalten) und Schwächen im Bereich Verhalten und Erleben https://www.sdqinfo.org/py/sdqinfo/b0.py
- Perceptions of Inclusion Questionnaire (PIQ): Ein Screening zur Erfassung von drei Dimensionen subjektiv erlebter schulischer Inklusion: dem emotionalen Wohlbefinden in der Schule (1), der sozialen Inklusion in der Klasse (2) und dem akademischen Selbstkonzept (3) https://piqinfo.ch/
- Müller, T. (2018), Kinder mit auffälligem Verhalten unterrichten. Fundierte Praxis in der inklusiven Grundschule. Reinhardt Verlag, S. 16 ↵
- Greene, R. W. (2019), Verloren in der Schule. Wie wir herausfordernden Kindern helfen können. Hogrefe ↵
- Hövel, D. C., Schellenberg, C., Link, P.-C., Gasser-Haas, O. (Hrsg.) (2024), Sozio-emotionales Lernen. Edition SZH. ↵