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I. Unterricht

Verhalten

«Dieses Kind stört andauernd meinen Unterricht!»Verhaltensauffälligkeiten können die Tragfähigkeit der integrativen Schule herausfordern und Lehrpersonen belasten. Drei Grundannahmen sind wichtig:

    1. Jedes Verhalten drückt ein Verhältnis zu einem Gegenüber aus.[1]
    2. Jedes Verhalten ist daher subjektiv sinnvoll.[2]
    3. Schüler:innen machen ihre Sache gut, wenn sie können.[3] Es handelt sich bei Verhaltensauffälligkeiten mehr um Performanzprobleme als um Kompetenzdefizite.

Haben Sie oder die Lehrpersonen oder Schüler:innen und deren Eltern den Eindruck, wenn ein:e Schüler:in nicht mehr in der Klasse wäre, wäre alles besser? Dann erleben Sie «Sündenbockdynamiken» in Ihrer Klasse. Verhaltensprobleme werden gerne ausschliesslich an Schüler:innen angemacht und damit dem Sozialen entzogen, obwohl es sich um soziale Dynamiken handelt.

«Je gemischter eine Klasse ist, desto weniger schwierig ist sie. Gemischt im Sinne von: Kinder mit unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen.» → Zum Interview

Setzen Sie sich dafür ein, den:die Schüler:in in der Klasse zu behalten. Aber unbedingt nicht als Aufgabe einer einzelnen Lehrperson.

  • Zuerst muss die Situation soweit entlastet werden, dass die Lehrpersonen bereit sind, zu lernen.
  • Wenn Sie jedoch das Problem ausschliesslich delegieren, wird sich das Unterrichssystem nicht ändern und das Problem kann sich erneut in einer neuen Gruppenkonstellation zeigen.
  • Unterstützen Sie die Lehrpersonen, mögliche Angriffe nicht persönlich zu nehmen und tief Luftholen zu üben, bevor reagiert wird. Damit können wiederkehrende Abwärtsspiralen durchbrochen werden.
  • Unterstützen Sie das Klassensystem unmittelbar zur Verbesserung der Situation – mit dem Fokus auf Classroom-Management und der kollegialen Fallberatung (siehe unten).
  • Schüler:innen mit belastender Geschichte benötigen die Zusammenarbeit des ganzen Schulhauses, um getragen zu werden. Auch müssen dazu Emotionen der Lehrpersonen thematisiert und bearbeitet werden.

Klassenführung

Das Classroom-Management gehört zu den Tiefenstrukturen des Unterrichts. Gerade bei herausforderndem Verhalten lohnt es sich, hier anzusetzen. Der Fokus muss dabei auf der Maximierung der effektiven Lernzeit und -aktivität der Schüler:innen liegen. Wenig Leerlauf und ziellose Aktivitäten im Unterricht verunmöglichen, originelle Verhaltensweisen zu zeigen.

Kollegiale Fallberatung / Intervision

  • Kollegiale Fallberatung: Unterstützen Sie das Lehrpersonenteam, eine Kollegiale Fallberatung (Instrumente siehe unten) durchzuführen. Diese kann auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit festigen.
  • Biographie: Nehmen Sie es ernst, wenn Sie merken, dass eine Lehrperson bei Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten über die eigene Biographie stolpern. Vulnerable Schüler:innen kennen aus guten Gründen unsere emotionale  Achilles-Ferse. Unterstützen Sie dann die Lehrperson, die → eigenen blinden Flecken aufzudecken.

Prävention und Förderung

Es ist wichtig, nicht nur zu reagieren, sondern auch zu agieren: Prävention und Förderung sollte in noch nicht stark verfahrenen Situationen praktiziert werden.[4]

  • Klassenrat: Klassenrat ermöglicht, soziale Themen in der Klasse anzusprechen und gemeinsam das Zusammenleben zu thematisieren. Die Klasse wird fokussiert
  • Prävention: Schlagen Sie dem Klassenteam vor, eine → universelle präventive Fördermassnahme im Klassenunterricht einzusetzen, um die emotionalen und sozialen Kompetenzen der Schüler:Innen zu stärken und Verhaltensauffälligkeiten möglichst zu reduzieren, bevor sie zum Problem werden.
    ACHTUNG: Auch ein evidenzbasiertes Programm muss auf die jeweilige Situation angepasst werden. Die Qualität liegt nicht im Programm an sich, sondern in der konkreten Umsetzung. Das Programm kann in einer bestimmten Problemsituation auch die Situation verschlechtern.
  • Elternarbeit: Die Bearbeitung von Herausforderungen im Bereich Verhalten müssen gemeinsam mit den → Eltern angegangen werden.

Unterstützung und Fachstelle

Schulinterne Unterstützung

  • Für die Elternarbeit hilft die Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit / Schulsozialpädagogik.
  • Unterstützen Sie Kollegiale Beratung in festen Intervisionsteams im Schulhaus.

Fachstelle Verhalten und Lernen

Die → Fachstelle Verhalten und Lernen ist eine niederschwellige Anlaufstelle für Fragen rund um Verhaltensauffälligkeiten, Lernschwierigkeiten und herausfordernden Situationen in der Schule.

Weiterbildungen

Weiterbildungen finden sich im → Weiterbildungsplaner.

Volksschulgesetz Kanton Zürich (VSG)

§ 33. Die sonderpädagogischen Massnahmen dienen der Schulung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. Die Schülerinnen und Schüler werden wenn möglich in der Regelklasse unterrichtet.

§50, Abs. 1: Der Schulbetrieb orientiert sich am Wohl der Schülerinnen und Schüler.

Instrumente und Screenings

Intervision / Kollegiale Fallberatung

Screenings können helfen, sich einen Überblick über Verhalten und Erleben in der Klasse zu verschaffen.

  • Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ): Ein kostenloses und frei zugängliches Screening für Lehr- und Fachpersonen, Eltern und Schüler:innen (Selbsteinschätzung möglich ab 11 Jahren). Es handelt sich um ein Screening zu Stärken (prosoziales Verhalten) und Schwächen im Bereich Verhalten und Erleben https://www.sdqinfo.org/py/sdqinfo/b0.py
  • Perceptions of Inclusion Questionnaire (PIQ): Ein Screening zur Erfassung von drei Dimensionen subjektiv erlebter schulischer Inklusion: dem emotionalen Wohlbefinden in der Schule (1), der sozialen Inklusion in der Klasse (2) und dem akademischen Selbstkonzept (3) https://piqinfo.ch/

  1. Müller, T. (2018), Kinder mit auffälligem Verhalten unterrichten. Fundierte Praxis in der inklusiven Grundschule. Reinhardt Verlag, S. 16
  2. (ebd.)
  3. Greene, R. W. (2019), Verloren in der Schule. Wie wir herausfordernden Kindern helfen können. Hogrefe
  4. Hövel, D. C., Schellenberg, C., Link, P.-C., Gasser-Haas, O. (Hrsg.) (2024), Sozio-emotionales Lernen. Edition SZH.

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