III. Schulkultur
Selektion in die Sonderschule
«Wäre dieses Kind in der Sonderschule nicht besser aufgehoben?»Dieser Satz (siehe Zitat) muss als Alarmzeichen und als Hilferuf gelesen, und deshalb sehr ernst genommen werden. Es stellt sich dann die Herausforderung, gemeinsam mit den Lehrpersonen kreative Lösungen zu suchen, um eine Integration zu ermöglichen. Wenn der Satz (siehe Zitat) fällt, ist es wichtig, nicht einfach eine Sonderschul-Abklärung einzuleiten, sondern intensiv und kreativ an den Herausforderungen zu arbeiten.
Der Besuch einer Sonderschule hat für ein betroffenes Kind negative Auswirkungen auf die Schulkarriere und insbesondere auf die spätere Integration in der Gesellschaft
Separative Beschulungen (Sonderklasse, Sonderschule) haben langfristige Konsequenzen auf Berufsbildung, Integration in den Arbeitsmarkt, Partizipation an der Gesellschaft (und dies besonders in Zeiten von Fachkräftemangel)[1]
Aus wissenschaftlicher (und auch rechtlicher) Sicht ist Integration deshalb einer Separation vorzuziehen. Eine Zusammenschau der Forschungsergebnisse findet sich hier → Was wissen wir über die schulische Integration in der Schweiz?. Deshalb ist es wichtig, die ganze Palette von Möglichkeiten auszuprobieren, bevor ein:e Schüler:in in die Sonderschule geschickt wird.
Integrativer Rahmen stärken
Wie kann der passende Rahmen für ein Kind oder Jugendliche:n – sowie für die Klasse und die Lehrperson – geschaffen werden?
- Vereinbaren Sie einen möglichst Zeitnahmen Sitzungstermin mit allen Fach- und Lehrpersonen der Klasse. Diskutieren Sie die Möglichkeiten einer Unterrichtsanpassung und vereinbaren Sie die ersten Schritte. Fokussieren Sie dabei konkrete Situationen (im Stil einer Intervision). Der Hauptfokus bleibt auf dem bestmöglichen Lernen aller Schüler:innen und auf den Situationen, die bereits jetzt gut gelingen.
- Suchen sie gemeinsam (wenn mögliche auch mit den Eltern) kreative Lösungen: z.B. Entlastungsmöglichkeiten in anderen Klassen; schwierige Tageszeiten umgehen (anderes als Unterricht einplanen); …
- Wenn Sie eine:r Schüler:in die bestmögliche Schulkarriere ermöglichen möchten, so müssen Sie das Team so zusammenbringen, dass es die Verantwortung auf allen Schultern verteilt.
Quer Versetzen
Die Versetzung eines Kindes in eine andere Klasse kann eine (kurzfristige) Entlastung für die Lehrperson darstellen. Auch kann sich ein Kind in einer anderen Gruppe und bei anderen Lehrpersonen anders zeigen. Deshalb ist vor einer Sonderschulung eine Querversetzung durchzuführen.
- Welche Lehrpersonen haben aktuell die Kapazität, zu einem neuen Kind eine tragfähige Beziehung aufzubauen?
- Welche Klasse hat Stabilität, um einem neuen Kind ein gutes Umfeld zu ermöglichen?
- Was bieten Sie den Lehrpersonen und der Klasse an, dass sie sich selbstwirksam fühlen, die neue Aufgabe zu übernehmen (zusätzliche Assistenzstunden, Klassenrat mit Znüni, …)?
Querversetzung vor Zuweisung in eine Kleinklasse (VSM 412.103)
§ 271 Die Zuweisung von einer Regel- in eine Kleinklasse wird erst vorgenommen, nachdem die Schülerin oder der Schüler während mindestens vier Monaten in einer parallel geführten Regelklasse oder, wo eine solche fehlt, in der Regelklasse einer anderen Gemeinde unterrichtet wurde.
2 Von der Beobachtungszeit kann abgesehen werden, wenn aufgrund der konkreten Umstände die notwendige schulische Förderung offensichtlich nur in einer Kleinklasse erfolgen kann oder die Versetzung für die Schülerin oder den Schüler aus besonderen Gründen nicht zumutbar ist.
«Scheint eine Separation des Kindes in akuten Krisen unumgänglich?»
Sozialpädagogische Begleitung und Time Out
Vor einem Time Out kann eine Klasse und eine Lehrperson noch im Sinne einer Krisenintervention begleitet werden.
- Achten Sie darauf, dass die ganze Klasse in die Interventionen einbezogen wird.
- Planen Sie mit den Lehrpersonen. Es ist gut, zeitnah eine Intervention durchzuführen – vertrösten Sie nicht auf übermorgen.
- Lassen Sie sich bei Bedarf von Aussenstehenden begleiten, z.B. von → Klassenbegleitung.
Das Ziel eines Time Out ist, die ganze Situation zu entlasten und Zeit zu bekommen, die Integration neu anzugehen:
- Das Kind sollte während der Separation mit dem Material der Klasse arbeiten können.
- Die Rückkehr des Kindes in die Klasse muss von Anfang an mitgeplant werden. Rechtlich darf die Auszeit nicht mehr als 12 Wochen dauern.
- Die Situation (Unterricht, Lehrperson, Klasse) muss in der Zwischenzeit angegangen werden.
→ Time Out – Die Rückkehr muss geplant sein
Volksschulgesetz Kanton Zürich (VSG)
§ 52 a. 1 Für Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihres Verhaltens in der Klasse nicht mehr tragbar sind, kann die Schulpflege eine Auszeit von längstens zwölf Wochen anordnen.
2 In der Anordnung sind die Ziele und die Ausgestaltung der Auszeit festzulegen.
3 Während der Auszeit erhalten die Schülerinnen und Schüler Unterricht und werden erzieherisch begleitet.
Elternzusammenarbeit
Laut Volksschulgesetz sind die Eltern eng in die Fragestellung einbezogen, ob eine Sonderschulung angebracht ist. Eine Abklärung zur Sonderschulung wird somit nicht von einem Interdisziplinären Team oder einer Fachgruppe eingeleitet, sondern über das → Schulische Standortgespräch, in dem die Eltern einen aktiven Part übernehmen sollen.
Institutionelle Diskriminierung
Kinder mit tiefem sozio-ökonomischem Status oder/und mit familiärer Migrationsgeschichte besuchen prozentual zu oft eine Sonderschule. Achten Sie darauf, in den Selektionsprozessen dies zu berücksichtigen und korrigierend einzugreifen.
- Wie wird den Eltern zugehört? Und wie können sich die Eltern einbringen?[2]
- Ist der Einbezug von interkulturellen Dolmetscher:innen notwendig?
Zusammenarbeit und Unterstützung
Gelangen Sie für…
… die Elternarbeit intern an die Schulsozialarbeit und die Heilpädagogik:innen
… externe Beratung an den Schulpsychologischen Dienst
…Kollegiale Beratung an das Schulhausteam und alle Fachpersonen (→ Hilfestellungen)
Hinweise und Instrumente
Reintegration
Eine Reintegration ist insbesondere bei Kleinklassenschüler:innen anzustreben. Die Bedingungen im Kanton Zürich sind auf der Homepage teil-reintegration.ch abrufbar. Auf der Homepage sind auch Portraits von gelungenen Prozessen zu finden.
Intervision / Kollegiale Fallberatung
- Für kurze Fallberatungen (25′) eignet sich das → 5×5-Instrument der Stadt Zürich.
- Ein → Intervisionsleitfaden findet sich im Baustein 5 aus dem Projekt Zusammenarbeit an Schulen
Volksschulgesetz Kanton Zürich (VSG)
§ 3 Alle Kinder mit Aufenthalt im Kanton haben das Recht, die öffentliche Volksschule zu besuchen.
§ 33. Die sonderpädagogischen Massnahmen dienen der Schulung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. Die Schülerinnen und Schüler werden wenn möglich in der Regelklasse unterrichtet.
§ 37. Die Entscheidung über sonderpädagogische Massnahmen wird von den Eltern, der Lehrperson und der Schulleitung gemeinsam getroffen. Fällt eine Sonderschulung in Betracht, ist die Mitwirkung und die Zustimmung der Schulpflege erforderlich. In der Regel wird eine sonderpädagogische Fachperson oder eine Schulpsychologin oder ein Schulpsychologe beratend beigezogen.
- https://www.szh.ch/bausteine.net/f/53632/20240208.Wissen-Integration.SZH.pdf ↵
- Hofstetter, D. (2013). Bildungsambitionen in Elterngesprächen der 5. Klasse, ein Jahr vor dem Übertritt in die Orientierungsschule. In E. Wannack, S. Bosshart, A. Eichenberger, M. Fuchs, E. Hardegger, & S. Marti (Hrsg.), 4- bis 12-Jährige. Ihre schulischen und ausserschulischen Lern- und Lebenswelten (S. 78–86). Waxmann. ↵