Fördermassnahmen

Verhaltenstraining für Schulanfänger: Ein Programm zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen

von Franz Petermann, Heike Natzke, Nicole Gerken und Hans-Jörg Walter (2016)

Einsatzbereich

  • 1. und 2. Klasse
  • Gruppentraining (Schulklasse, Kleingruppen auch möglich)
  • Universelle Prävention

Qualitätskriterien

Durchführbarkeit Theoretische Fundierung Evaluation
Bewertung Gefüllter Kreis Gefüllter Kreis Gefüllter Kreis
Erläuterung Verständliche Hinweise zur praktischen Umsetzung des Programms. Theoretische Begründung und nachvollziehbare Ableitung der Vorgehensweise. Überzeugende Belege zur  Wirksamkeit.

Inhalt

Beim Schuleintritt sehen sich viele Kinder zum ersten Mal mit Anforderungen wie festen Unterrichtszeiten, Hausaufgaben, Leistungsbewertungen und vorgegebenen Arbeitstempo konfrontiert. Viele Schulanfänger sind diesen neuen Herausforderungen nicht gewachsen und zeigen infolgedessen problematisches Sozialverhalten. Das Training wurde speziell für Kinder in der Anfangsphase der Schule entwickelt, um frühzeitig oppositionellem und aggressivem Verhalten entgegenzuwirken.

Im Training werden personenzentrierte und kontextzentrierte Ziele adressiert. Auf der Kinder-Ebene beinhaltet dies z.B. die Verbesserung der sozialen Wahrnehmung, Förderung der Problemlöse- und Konfliktfähigkeiten und Aufbau prosozialen Verhaltens. Auf der Lehrpersonen-Ebene werden u.a. lernpsychologische Grundlagen, Basiswissen über soziale und emotionale Kompetenzen, Strategien zu Klassenführung und Problemmanagement vermittelt.

Die Durchführung des Trainings erfolgt in der Regel mit der ganzen Klasse und wird von der Lehrperson in der Schule durchgeführt. Das Training eignet sich jedoch auch für kleinere Kindergruppen. Durchgeführt wird das Training in der Schuleingangsphase auf der Klassenebene in 1. und 2. Klassen.

Das Training besteht aus 27 Einheiten von jeweils 45 bis 60 Minuten, die zweimal wöchentlich stattfinden und idealerweise innerhalb eines Schulhalbjahres abgeschlossen werden sollten. Die einzelnen Trainingssitzungen folgen einem festgelegten Ablauf (Begrüssung, Ruheritual, Einführung und Bearbeitung der Trainingsaufgabe, Reflexion und Belohnungsphase).

Das Training ist inhaltlich in vier Stufen gegliedert:

  1. Stufe (Sitzung 1 bis 3): In der Einführungsphase lernen die Kinder die Grundlagen des Trainings kennen. Im Fokus stehen motorische Ruhe und Entspannung, der Aufbau von Motivation zur Mitarbeit, das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Verhalten und Konsequenzen sowie der Aufbau eines Verpflichtungsgefühls.
  2. Stufe (Sitzung 4 bis 6): Diese Stufe zielt auf die Stärkung sozial-kognitiver Kompetenzen ab. Die Kinder erlernen und üben Selbstinstruktionen, um ihre visuelle und auditive Aufmerksamkeit sowie ihre Fähigkeit zur Aufmerksamkeitslenkung zu stärken
  3. Stufe (Sitzung 7 bis 13): Hier liegt der Schwerpunkt auf der Stärkung emotionaler und sozial-emotionaler Fertigkeiten. Themen sind die Wahrnehmung eigener und fremder Emotionen, der Aufbau sozial-emotionaler Fertigkeiten sowie die Förderung prosozialen Verhaltens.
  4. Stufe (Sitzung 14 bis 27): In dieser Phase geht es um das Training von Konflikt- und Problemlösefähigkeiten. Die Kinder lernen, soziale Handlungsabläufe differenziert wahrzunehmen, Einfühlungsvermögen zu entwickeln, die Konsequenzen einer Handlung vorherzusehen sowie verschiedene Konfliktlösungsstrategien zu bewerten und positives Problemlöseverhalten anzuwenden.

Zum Programm ist ein Arbeitsheft «Auf Schatzsuche – Ein Abenteuer mit Ferdi und seinen Freunden» verfügbar (Petermann et al., 2018).

Durchführbarkeit

Der didaktische Rahmen des präventiven Förderprogramms ist als Schatzsuche gestaltet, an der alle Schüler:innen der Klasse gemeinsam teilnehmen. Begleitet wird diese von der Handpuppe «Ferdi», einem Chamäleon. Die Aufgaben und Übungen werden den Schüler:innen auf spielerische und fantasievolle Weise dargeboten. Zum Programm gehören Rollenspiele, Singen, Beobachtungsaufgaben, Feedback, Lob und Unterstützung sowie Konzentrations- und Entspannungsspiele. Zahlreiche Arbeitsmaterialien sind online verfügbar. Für jedes Kind kann ein eigenes Arbeitsheft gekauft werden (Petermann et al., 2018). Die Chamäleon-Handpuppe muss separat bestellt werden.

Theoretische Fundierung

Hintergrund des Trainingsbereiches der sozial-kognitiven Kompetenzen bildet das sozial-kognitive Informationsverarbeitungsmodell nach Crick und Dodge (1994), welches durch Lemerise und Arsenio (2000) um den Einfluss der Emotionalität erweitert wurde. Für den Bereich der emotionalen Kompetenzen wurden nach Saarni (2002) acht Fertigkeiten ausgewählt, welche sich auf empirische Befunde zur emotionalen Entwicklung stützen. Ein weiterer Trainingsbereich umfasst soziale Kompetenzen bzw. soziale Fertigkeiten, zu welchen Bereiche sozialer Fertigkeiten nach den Ergebnissen von Caldarella und Merrell (1997) und das Modell sozialer Fertigkeiten nach Merrell (2003) erläutert werden. Die Autor:innen geben für jeden Trainingsbereich an, auf welche theoretisch eingeführten Kompetenzen das Verhaltenstraining fokussiert. Die Übungen des Förderprogrammes basieren zudem auf lerntheoretischen Grundlagen wie operantes Lernen respektive Verstärkungslernen, Modelllernen respektive Vorbildlernen und Selbstwirksamkeit nach Bandura (1977). Zudem wird auf Klassenführung und Problemmanagement eingegangen.

Evaluation

Die Evaluation des Präventionsprogramms ergibt insgesamt eine positive Gesamteinschätzung. Eine Wirksamkeitsstudie in Luxemburg (Natzke & Petermann, 2009), die mit einer Prä-Post-Follow-up Messung (N = 88) durchgeführt wurde, zeigte in der Trainingsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe kleine bis mittlere Effekte. Diese betrafen sowohl die Verbesserung der emotionalen und sozialen Kompetenzen als auch eine Abnahme aggressiv-oppositionellen Verhaltens. Ein Jahr nach dem Training wiesen die Kinder gemäss Einschätzung der Lehrperson eine signifikante Reduktion von Verhaltensproblemen auf. Eine Pilotstudie von Petermann und Natzke (2008) zeigte ähnliche Effekte, wobei für Vorschulkinder ein Jahr später keine Effekte mehr nachgewiesen werden konnten.

Die Ergebnisse bestätigen die Erkenntnisse einer früheren Studie, bei der eine signifikante Abnahme von aggressiven, unaufmerksamen und ängstlichen Verhaltensweisen beobachtet wurde (Gerken et al., 2002). Der positive Effekt dieser Wartekontrollgruppenstudie zeigte sich auch sechs Monate nach Abschluss des Trainings.

Literatur

  • Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84, 191–215.
  • Caldarella, O. & Merrell, K. W. (1997). Common dimensions of social skills of children and adolescents: A taxonomy of positive behaviors. School Psychology Review, 26, 265–279. https://doi.org/10.1080/02796015.1997.12085865
  • Crick, N. & Dodge. (1994). A Review and Reformulation of Social Information – Processing Mechanisms in Children`s Social Adjustment. Psychological Bulletin, 115(1), S. 74-101. https://doi.org/10.1037/0033-2909.115.1.74
  • Gerken, N., Natzke, H., Petermann, F., & Walter, H.-J. (2002). Verhaltenstraining für Schulanfänger: Ein Programm zur Primärprävention von aggressivem und unaufmerksamem Verhalten. Kindheit und Entwicklung, 11(2), 119–128. https://doi.org/10.1026//0942-5403.11.2.119
  • Lemerise, E. & Arsenio, W. (2000). An Integrated Model of Emotion Processes and Cognition in Social Information Processing. Child Development, 71, S. 107-118. https://doi.org/10.1111/1467-8624.00124
  • Merrell, K. W. (2003). Behavioral, social, and emotional assessment of children and adolescents (2nd ed.). Erlbaum.
  • Natzke, H., & Petermann, F. (2009). Schulbasierte Prävention aggressiv-oppositionellen und dissozialen Verhaltens: Wirksamkeitsüberprüfung des Verhaltenstrainings für Schulanfänger. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 58(1), 34–50. https://doi.org/10.13109/prkk.2009.58.1.34
  • Petermann, F., & Natzke, H. (2008). Preliminary Results of a Comprehensive Approach to Prevent Antisocial Behaviour in Preschool and Primary School Pupils in Luxembourg. School Psychology International, 29(5), 606–626. https://doi.org/10.1177/0143034308099204
  • Petermann, F., Natzke, H., Gerken, N. & Walter, H.-J. (2016). Verhaltenstraining für Schulanfänger. Ein Programm zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen (4. Aufl.). Hogrefe.
  • Petermann, F., Natzke, H., Gerken, N. & Walter, H.-J. (2018). Auf Schatzsuche. Ein Abenteuer mit Ferdi und seinen Freunden. Das Arbeitsheft für Kinder zum «Verhaltenstraining für Schulanfänger» (3. Aufl.). Hogrefe.
  • Saarni, C. (2002). Die Entwicklung emotionaler Kompetenzen in Beziehungen. In M. von Salisch (Hrsg.), Emotionale Kompetenzen entwickeln. Grundlagen in Kindheit und Jugend. Kohlhammer.

 

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Letzte Änderung: 09/2024

 

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