Fördermassnahmen
Trainingsprogramm Kalkulie – Diagnose- und Trainingsprogramm für rechenschwache Kinder
von Maria Gerlach, Annemarie Fritz, Gabi Ricken und Siegbert Schmidt (2007)
Einsatzbereich
- 1. bis 3. Klasse (Das Trainingsprogramm eignet sich auch für ältere Kinder, welche die basisnumerischen Kompetenzen noch nicht oder nur ansatzweise erreicht haben)
- Kleingruppe oder Einzelförderung
- selektive und indizierte Prävention
Qualitätskriterien
Durchführbarkeit | Theoretische Fundierung | Evaluation | |
---|---|---|---|
Bewertung | Gefüllter Kreis | Gefüllter Kreis | Leerer Kreis |
Erläuterung | Verständliche Hinweise zur praktischen Umsetzung des Programms. | Theoretische Begründung und nachvollziehbare Ableitung der Vorgehensweise. | Noch keine überzeugenden Belege. |
Inhalt
Das Trainingsprogramm Kalkulie richtet sich an Schüler:innen der 1. bis 3. Schulstufe, welche die basisnummerischen Kompetenzen noch nicht oder nur ansatzweise erreicht haben.
Das Trainingsprogramm basiert auf einer umfassenden Diagnostik und beinhaltet die Förderziele: Entwicklung eines umfassenden Zahlbegriffs, Entwicklung tragfähiger Zahl- und Zahlenraumvorstellungen, Entwicklung tragfähiger Rechenoperationen, Entdecken und Nutzen von Beziehungen zwischen Zahlen/Aufgaben/Rechenoperationen zur Entwicklung nicht-zählender Rechenstrategien, Erarbeitung eines Grundrepertoires an auswendig gewussten Rechenfakten, Einsatz heuristischer Hilfsmittel, Einsatz mathematischer und allgemeiner Problemlösestrategien, Aufeinanderbeziehen von unterschiedlicher Repräsentationsebenen, Entwicklung von Strategiebewusstsein und Fähigkeit, Mathematik auf Sachaufgaben anwenden zu können.
Da Rechenhandlungen auf drei unterschiedlichen Ebenen (handelnd, anschaulich, abstrakt) stattfinden können, werden diese stets verknüpft.
Das Trainingsprogramm soll möglichst in der Schule eingesetzt werden. Die Förderung findet einzeln oder in Kleingruppen statt. Die Förderung muss zwingend begleitet werden, da ein möglichst intensiver Dialog, die Reflexion und gemeinsame Strategieerarbeitung wesentliche Elemente sind. Eine Möglichkeit ist der tägliche, ca. 15-minütige Einsatz, in welcher jeweils eine Aufgabe bearbeitet wird. Die Förderung kann jedoch auch innerhalb der Klasse, des Jahrgangs oder auch jahrgangsübergreifend in Förderlektionen stattfinden. Die Dauer der Förderung richtet sich nach den Fortschritten der Kinder und kann je nach vorhandenen Schwierigkeiten unterschiedlich sein.
Ausgehend von den fünf Entwicklungsstufen nach Fuson (1988), welche im Theorieteil beschrieben werden, wurden folgende drei Trainingsbausteine entwickelt:
Baustein 1: Fertigkeitsspezifische Voraussetzungen (Stufen 1-4/5): Reihen bilden und Zählen
-
- Mengenaspekte und Kardinalität
- Zahlen- und Mengenwissen integrieren
Baustein 2: Strukturen im Zwanzigerraum (Stufe 4 und Beginn Stufe 5):
-
- Strukturen erkennen und herstellen
- Strukturen geschickt nutzen
- Strukturen flexibilisieren
Baustein 3: Nichtzählende Rechenstrategien (Stufe 5): Strategien «Kraft der 5» und «Kraft der 10» festigen
-
-
- Teil-Teil-Ganzes-Beziehungen verstehen
- Rechenfakten erwerben
-
In allen Bausteinen wird der Austausch über Strategien und dessen Vor- und Nachteile gefördert. Zudem werden in den Aufgaben je nach Alter des Kindes verschiedene Darstellungsformen (Worte, Objekte, Abbildungen) verwendet.
Durchführbarkeit
Das Trainingsprogramm Kalkulie umfasst eine Handreichung zur Durchführung der Diagnose inklusive Aufgaben, Instruktionen und Normdaten, zwei Diagnosehefte (Fritz, Ricken & Gerlach, 2007 ), sowie pro Baustein je ein Manual mit Aufgaben, Kopiervorlagen und Varianten für weitere Übungsaufgaben (Gerlach, Fritz, Ricken & Schmidt, 2007a, b, c). Die theoretischen Grundlagen sind in allen Handreichungen ausführlich beschrieben.
Jedem Baustein ist ein Set von Diagnoseaufgaben zugeordnet. Die Aufgaben können als Gruppentest durchgeführt werden. In der Einzeltestung kann der Entwicklungsstand genauer bestimmt werden, da hier zusätzlich eine Beurteilung von Strategien erfolgen kann. Es liegen Normwerte für verschiedene Zeitpunkte der 1. bis 3. Klasse vor. Eine spezifische Förderung wird unter dem Prozentrang 15 empfohlen. Aufgrund dieser Ergebnisse und weiteren Beobachtungen wird anschliessend ein Baustein ausgewählt und durchgeführt. Somit wird sichergestellt, dass die Förderung in der Zone der nächsten Entwicklung stattfindet.
Jeder Trainings-Baustein besteht aus einem Erarbeitungsteil und einem Übungsteil. Der Übungsteil enthält strukturgleiche Aufgaben zum Erarbeitungsteil und wird genutzt, wenn das Kind mit den Aufgaben des Erarbeitungsteils noch Schwierigkeiten hat. Die Einheiten sind klar strukturiert und werden im Hinblick auf Material, Inhalt und Vorgehen/Aufgabenstellung, Strategien und Kontrolle beschrieben. Jede Einheit startet mit der Anknüpfung an die letzte Einheit, anschliessend werden neue Aufgaben eingeführt, Ergebnisse und Lösungsstrategien werden verglichen, weitere Aufgaben und Variationen erprobt und zum Schluss wird die Einheit zusammengefasst. Die Materialien stehen zur Verfügung, sind jedoch exemplarisch zu verstehen. Dies bedeutet, dass kein vollständiger Aufgabensatz vorhanden ist, sondern dieser je nach Lernstand der Schüler:innen individuell abgekürzt oder erweitert werden kann. Somit können auch Aufgaben und Materialien aus dem eigenen Lehrmittel und nach Interesse des Kindes berücksichtigt werden, sofern diese die vorgesehene Struktur der Aufgaben aufweisen.
Es kann ein Lerntagebuch geführt werden, damit Kinder ihre Lernfortschritte erkennen können. Mittels Checkliste kann der Lernprozess des Kindes aus Sicht der Lehrperson geplant, dokumentiert und bewertet werden.
Theoretische Fundierung
Das Trainingsprogramm Kalkulie basiert auf einem Kompetenzmodell, dessen Modellierung sich auf die Befunde und Konzepte von Fuson (1988) und Resnick (1983) stützt und gemäss Ricken (2021) mehrfach empirisch belegt werden konnte (Ricken, Fritz & Balzer, 2013).
Das Kompetenzmodell unterscheidet folgende fünf Entwicklungsniveaus, die jeweils aufeinander aufbauen:
- Stufe: Zahlwortreihe, Reihen bilden, Mengenvergleich
- Stufe: Zahlen als Positionen auf dem Zahlenstrahl (ordinal), zählendes Rechnen, Flexibilisierung der Zahlwortreihe (rückwärts zählen)
- Stufe: Kardinaler Zahlbegriff, erste Einsicht in den Aufbau der Zahlwortreihe (Vorgänger/Nachfolger), Enthaltensein von Mengen (4 enthält 3, 2, 1)
- Stufe: Erste Einsicht, dass Mengen aus Teilmengen zusammengesetzt sind, tiefere Einsicht in den Aufbau der Zahlwortreihe (Anstieg um 1), Mengenvergleich und Differenzbestimmung (erste Einsicht in den relationalen Zahlbegriff)
- Stufe: Einsicht in Teil-Ganzes-Beziehungen von Aufgaben, vertieftes relationales Zahlverständnis
Evaluation
In den Manualen finden sich keine Hinweise zur Evaluation. Ricken (2021, S. 155f.) argumentiert, dass das Trainingsprogramm und dessen Bausteine bewusst flexibel gestaltet wurden, um an den individuellen Bedingungen des Kindes ansetzen zu können, weshalb kontrollgruppengestützte Evaluationen im strengen Sinn schwierig zu realisieren sind. Einzelberichte ohne Kontrollgruppe finden sich in Rosner (2024), hier werden positive Lernverläufe nach der Durchführung des Trainingsprogrammes Kalkulie beschrieben.
Zudem liegen zwei Implementationsstudien vor, welche das Programm unter schulischen Bedingungen untersuchten. Im Rügener Inklusionsmodell wurde gemäss dem Response-to-Intervention-Ansatz auf drei Stufen gearbeitet, wobei auf Stufe 2 mit dem Trainingsprogramm Kalkulie gearbeitet wurde. Im Vergleich zu diesen Kindern zeichnete sich jedoch ein leichter Vorteil der Kontrollgruppenkinder im Bereich der Mathematik ab (Voss et al., 2014).
Müller und Fritz-Stratmann (2017) beschreiben eine Implementationsstudie, die über einen Zeitraum von einem Jahr die Entwicklung von Kindern in Kontrollgruppen (n = 96) mit der von Kindern vergleicht, die im Unterricht mit dem Kalkulie-Ansatz gefördert wurden (n = 104). Es zeigte sich insgesamt ein geringer Implementationserfolg: die Förderstunden wurden oft hinter den Ablauf des schulischen Alltags gestellt und es liessen sich im Vergleich zur Kontrollgruppe keine signifikanten Lernzuwächse auf das Trainingsprogramm zurückführen. Die Autor:innen folgern, dass Schulen etwa ein Schuljahr benötigen, um die erforderlichen Voraussetzungen für die Einführung neuer Förderstrategien und -programme zu schaffen.
Literatur
- Fritz, A., Ricken, G., Gerlach, M. & Schmidt, S. (2007). Kalkulie – Diagnose- und Trainingsprogramm für rechenschwache Kinder: Trainingsprogramm: Diagnosehefte zur Früherkennung von Rechenschwäche. Cornelsen.
- Fritz, A., Ricken, G. & Gerlach, M. (2007). Kalkulie: Diagnose- und Trainingsprogramm für rechenschwache Kinder. Handreichung zur Durchführung der Diagnose (1. Auflage.). Cornelsen.
- Fuson, K. C. (1988). Children’s counting and concepts of number (Springer series in cognitive development). Springer. https://doi.org/10.1007/978-1-4612-3754-9
- Gerlach, M., Fritz, A., Ricken, G. & Schmidt, S. (2007a). Kalkulie: Diagnose- und Trainingsprogramm für rechenschwache Kinder. Baustein 1: Trainingsprogramm Fertigkeitsspezifische Voraussetzungen (1. Auflage.). Cornelsen.
- Gerlach, M., Fritz, A., Ricken, G. & Schmidt, S. (2007b). Kalkulie: Diagnose- und Trainingsprogramm für rechenschwache Kinder. Baustein 2: Trainingsprogramm Strukturen im Zwanzigerraum. Cornelsen.
- Gerlach, M., Fritz, A., Ricken, G. & Schmidt, S. (2007c). Kalkulie: Diagnose- und Trainingsprogramm für rechenschwache Kinder. Baustein 3: Trainingsprogramm Nicht-zählende Rechenstrategien. Cornelsen.
- Müller, A. & Fritz-Stratmann, A. (2017). Implementation des Trainingsprogrammes Kalkulie in der Grundschule. Lernen und Lernstörungen, 6(1), 7–17. https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000158
- Resnick, L. B. (1983). A development theory of number understanding. In H. P. Ginsburg (Ed.), The development of mathematical thinking (pp. 109–151). Academic Press.
- Ricken, G., Fritz, A. & Balzer, L. (2013). MARKO-D: Mathematik- und Rechenkonzepte im Vorschulalter – Diagnose (Hogrefe Vorschultests). Hogrefe.
- Ricken, G. (2021). Rechenstörung. In A. Lohaus & H. Domsch (Hrsg.), Psychologische Förder- und Interventionsprogramme für das Kindes- und Jugendalter (2. Auflage., S. 149–166). Springer.
- Rosner, R. (2024). Kalkulie: Diagnose- und Trainingsprogramm für rechenschwache Kinder. Fördermagazin Grundschule 2, 36–37.
- Voss, S., Blumenthal, Y., Sikora, S., Mahlau, K., Diehl, K. & Hartke, B. (2014). Rügener Inklusionsmodell (RIM)—Effekte eines Beschulungsansatzes nach dem Response to Intervention-Ansatz auf die Rechen- und Leseleistungen von Grundschulkindern. Empirische Sonderpädagogik, 6(2), 114–132. https://doi.org/10.25656/01:9248
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Letzte Änderung: 02/2025
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