Fördermassnahmen

Medienhelden. Unterrichtsmaterialien zur Förderung von Medienkompetenz und Prävention von Cybermobbing

von Anja Schultze-Krumbholz, Pavle Zagorscak, Anne Rossen-Runge und Herbert Scheithauer (2021)

Einsatzbereich

  • Jugendliche von 12 bis 16 Jahre
  • Gruppentraining
  • Universelle, selektive und indizierte Prävention

Qualitätskriterien

Durchführbarkeit Theoretische Fundierung Evaluation
Bewertung Gefüllter Kreis Gefüllter Kreis Gefüllter Kreis
Erläuterung Verständliche Hinweise zur praktischen Umsetzung des Programms. Theoretische Begründung und nachvollziehbare Ableitung der Vorgehensweise. Überzeugende Belege zur  Wirksamkeit.

Inhalt

Das Programm richtet sich an Jugendliche von 12 bis 16 Jahren im Schulkontext (7. bis 10. Klasse). Teilnehmer:innen können Schulklassen oder Gruppen bis 30 Jugendliche sein. Es richtet sich als universelle Prävention allgemein an Schulklassen, beinhaltet aber auch Elemente selektiver und indizierter Prävention, die sich auf Schulklassen mit negativen Peerbeziehungen, mangelnder Empathie oder bereits bekannten Fällen von Cybermobbing beziehen.

Aufgrund der kognitiven Herausforderungen an die Teilnehmer:innen, ist es im Förderschulbereich nicht zu empfehlen.

Das Ziel des Programms ist es, Schüler:innen im Unterricht einen verantwortungsvollen und bewussten Umgang mit sozialen Medien zu vermitteln. Es dient zur Förderung der Medienkompetenz und als Prävention von Cybermobbing.

Das strukturierte Programm kann im Unterricht als Curriculum über ca. 10 Wochen mit wöchentlichen Sitzungen von ca. 90 Minuten oder als Projekttag durchgeführt werden. Während das Curriculum als Präventionsmassnahme verstanden werden kann, liegt das Ziel des Projekttages in der Sensibilisierung für das Thema.

Das Curriculum setzt sich aus acht Modulen zusammen und umfasst Themen wie die Erfassung des Ausmasses der Mediennutzung in der Klasse, Förderung der Perspektivenübernahme und Empathie, Verantwortungsübernahme und Handlungskompetenz, Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten für Cybermobbing-Situationen sowie Aufklärung über die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Konkret werden folgende Inhalte vermittelt:

  • Modul I: Vermittlung von Vorteilen und Gefahren neuer Medien
  • Modul II: Erarbeitung einer Definition von Cybermobbing und Einordnung von Cybermobbing-Erlebnissen
  • Modul III: Gefühle und Handlungsmöglichkeiten in einer Cybermobbing-Situation erarbeiten
  • Modul IV: Klärung von Rollen in Cybermobbing-Situationen und Handlungsmöglichkeiten erarbeiten
  • Modul V: Grundstrategien des Datenschutzes und gegen Cyber-Täter erarbeiten
  • Modul VI: «Urheber- und Persönlichkeitsrechte» vorbereiten und in einem Klassengericht spielen
  • Modul VII: Vorbereitung eines Elternabends
  • Modul VIII: Abschlussreflexion

Das Programm integriert in Modul VII die Vorbereitung und Durchführung eines Elternabends, und ermöglicht es dadurch, Eltern in die Problematik des Cyberbullyings einzubringen. Das Curriculum schliesst mit einer Abschlussreflexion unter anderem mit Blick auf den Transfer in den Alltag und mit Festlegen von Klassenregeln.

Durchführbarkeit

Im Handbuch werden die einzelnen Schritte und Methoden detailliert beschrieben. Das Programm umfasst zudem zahlreiche Materialien wie Arbeitsblätter für die Jugendlichen sowie Videos, welche online zur Verfügung gestellt werden.

Das Programm wird normalerweise durch die Lehrpersonen durchgeführt, kann aber auch durch andere pädagogische Fachpersonen durchgeführt werden.

Theoretische Fundierung

Das Programm setzt bei der Ausgangslage an, dass die Nutzung moderner Kommunikationsmedien in den letzten Jahren rasant gestiegen ist. Obwohl diese viele Möglichkeiten bieten, treten auch wiederholt negative Effekte wie Cybermobbing auf, was im Manual thematisch aufgearbeitet wird.

Zudem wird ein dem Programm zugrunde liegendes Präventionsmodell vorgestellt, das auf bestehenden empirischen Befunden zu den Entstehungs- und aufrechterhaltenden Bedingungen von Cybermobbing, wie mangelnde Empathie und geringe Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, entwickelt wurde (z.B. Scheithauer & Schultze-Krumbholz, 2009; Schultze-Krumbholz & Scheithauer, 2009; 2010).

Das Programm wird auf Grundlage der Prinzipien des sozialen Lernens, wie Rollenspiele und Modellernen, sowie kognitiv-behavioraler Methoden wie positiver Verstärkung umgesetzt. Zum Programm gehört die Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen, insbesondere Empathie und Perspektivenübernahme, sowie die Reflexion von Gedanken, Gefühlen und Motiven der Beteiligten. Zudem werden Handlungsalternativen erarbeitet.

In einem Wirkmodell werden die Zielaspekte des Programms zusammengefasst. Dieses geht mit Annahmen der Theorie des überlegten Handelns (Fishbein & Ajzen, 1975) und der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985) einher.

Evaluation

Es liegt eine umfassende Evaluationsstudie in einem klassischen quasi-experimentellen Interventions- und Kontrollgruppendesign sowohl für das Curriculum als auch für den Projekttag vor (Chaux et al., 2016; Hess et al., 2020; Schultze-Krumbholz et al., 2014a, b, 2016; Wölfer et al., 2013; Zagorscak et al., 2019). Die Wirksamkeit von Curriculum und Projekttag wurde mit einer Prä- und Post-Messung an einer Stichprobe von 570 bis 722 Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren sowie ihren Lehrpersonen überprüft. Die Stichprobengrösse variiert in Abhängigkeit der untersuchten Variablen. Die gesamte Stichprobe stammt aus vier Gymnasien und einer integrierten Gesamtschule. Vor der Programmdurchführung nahmen die Lehrpersonen an einer achtstündigen Fortbildung teil.

Die Ergebnisse zeigten über alle Studien hinweg, dass das Curriculum wirksam Cybermobbing und die Bereitschaft zur Cybermobbing reduziert. Weiter wurden verschiedene Variablen untersucht. Beispielsweise zeigten Schultze-Krumbholz et al. (2014b), dass in den Interventionsgruppen das aggressive Verhalten stagnierte, während es in der Kontrollgruppe zunahm. Darüber hinaus zeigten Schultze-Krumbholz et al. (2014b), dass nur die Interventionsgruppen eine Zunahme in sozialer Kompetenz, Selbstwert und subjektiver Gesundheit berichteten, während sich die Empathie in der Kontrollgruppe verschlechterte. In einer späteren Publikation konzentrierten sich Schultze-Krumbholz et al. (2016) auf Empathie und stellten fest, dass der Projekttag positive Effekte auf die kognitive Empathie und das Curriculum positive Effekte auf die affektive Empathie hatte. Zagorscak et al. (2019) zeigten, dass in der Interventionsgruppe somatische Symptome abnahmen, während sich betreffend Einstellungen und Normen keine Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppen zeigten.

Chaux et al. (2016) zeigten auf, dass das Programm auch positive Effekte im Hinblick auf traditionelles Mobbing hat, jedoch keinen direkten Einfluss auf die Viktimisierung durch traditionelles Mobbing oder Cybermobbing. Hess et al. (2020) untersuchten die Auswirkungen des Programms auf den Zusammenhang zwischen traditionellem und Cybermobbing und internalisierende Auffälligkeiten. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass das Programm den Zusammenhang zwischen Viktimisierungserfahrungen und internalisierenden Problemen positiv beeinflusst

Die Effekte waren häufiger und stärker auf die Curriculum-Version als auf den Projekttag zurückzuführen. Daraus lässt sich schliessen, dass der Projekttag eher stabilisierend als präventiv wirkt, während das Curriculum den eigentlichen Präventionseffekt zeigt.

Eine Zusammenstellung veröffentlichter Erkenntnisse zur Wirksamkeit des Programms findet sich auch in Scheithauer et al. (2019).

Literatur

  • Ajzen, I. (1985). From intentions to actions: A theory of planned behavior. In J. Kuhland & J. Beckman (Eds.), Action-control: From cognitions to behavior (pp. 11-39). Springer.
  • Chaux, E., Velásquez, A. M., Schultze-Krumbholz, A., & Scheithauer, H. (2016). Effects of the cyberbullying prevention program media heroes (Medienhelden) on traditional bullying. Aggressive Behavior, 42(2), 157–165. https://doi.org/10.1002/ab.21637
  • Fishbein, M. & Ajzen, I. (1975). Belief, attitude, intention and behavior: An introduction to theory and research. Addison-Wesley.
  • Hess, M., Schultze-Krumbholz, A., & Scheithauer, H. (2020). Wirkung des Präventionsprogramms „Medienhelden“ auf den Zusammenhang von traditionellem sowie Cybermobbing und internalisierenden Auffälligkeiten. Kindheit und Entwicklung, 29(2), 92–100. https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000307
  • Scheithauer, H. & Schultze-Krumbholz, A. (2009). Bullying und Cyberbullying unter Schülern. In D. Menzel & W. Wiater (Hrsg.), Verhaltensauffällige Schüler. Symptome, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten (S. 213-231). Klinkhardt.
  • Scheithauer, H., Zagorscak, P. & Schultze-Krumbholz, A. (2019). Prävention von Cybermobbing in Schulen mit dem Programm Medienhelden. Nervenheilkunde, 38(1), 41–44. https://doi.org/10.1055/a-0815-6062
  • Schultze-Krumbholz, A. & Scheithauer, H. (2009). Social-behavioral correlates of cyberbullying in A German student sample. Zeitschrift für Psychologie/Journal of Psychology, 217, 224-226. https://doi.org/10.1027/0044-3409.217.4.224
  • Schultze-Krumbholz, A. & Scheithauer, H. (2010). Cyberbullying unter Kindern und Jugendlichen – Ein Forschungsüberblick. Psychosozial, 122, 79-91.
  • Schultze-Krumbholz, A., Schultze, M., Zagorscak, P., Wölfer, R., & Scheithauer, H. (2016). Feeling cybervictims’ pain—The effect of empathy training on cyberbullying. Aggressive Behavior, 42(2), 147–156. https://doi.org/10.1002/ab.21613
  • Schultze-Krumbholz, A., Zagorscak, P., Roosen-Runge, A. & Scheithauer, H. (2021). Medienhelden. Unterrichtsmaterial zur Förderung von Medienkompetenz und Prävention von Cybermobbing (3. Aufl.). Ernst Reinhardt
  • Schultze-Krumbholz, A., Zagorscak, P., Wölfer, R., & Scheithauer, H. (2014b). Prävention von Cybermobbing und Reduzierung aggressiven Verhaltens Jugendlicher durch das Programm Medienhelden: Ergebnisse einer Evaluationsstudie. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 9(1), 11–12.
  • Schultze-Krumbholz, A., Zagorscak, P., Wölfer, R., & Scheithauer, H. (2014a). Das Medienhelden-Programm zur Förderung von Medienkompetenz und Prävention von Cybermobbing: Konzept und Ergebnisse aus der Evaluation. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 63(5), 379–394. https://doi.org/10.13109/prkk.2014.63.5.379
  • Wölfer, R., Schultze-Krumbholz, A., Zagorscak, P., Jäkel, A., Göbel, K., & Scheithauer, H. (2014). Prevention 2.0: Targeting cyberbullying @ school. Prevention Science: The Official Journal of the Society for Prevention Research, 15(6), 879–887. https://doi.org/10.1007/s11121-013-0438-y
  • Zagorscak, P., Schultze-Krumbholz, A., Heinrich, M., Wölfer, R., & Scheithauer, H. (2019). Efficacy of Cyberbullying Prevention on Somatic Symptoms—Randomized Controlled Trial Applying a Reasoned Action Approach. Journal of Research on Adolescence, 29(4), 908–923. https://doi.org/10.1111/jora.12429

 

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Letzte Änderung: 06/2024

 

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