Fördermassnahmen
Das Marburger Rechtschreibtraining. Ein regelgeleitetes Förderprogramm für rechtschreibschwache Kinder
von Gerd Schulte-Körne und Frank Mathwig (2023)
Einsatzbereich
- 2. bis 5. Klasse
- Einzel- und Kleingruppentraining
- Selektive und indizierte Prävention
Qualitätskriterien
Durchführbarkeit | Theoretische Fundierung | Evaluation | |
---|---|---|---|
Bewertung | Gefüllter Kreis | Gefüllter Kreis | Halb gefüllter Kreis |
Erläuterung | Verständliche Hinweise zur praktischen Umsetzung des Programms. | Theoretische Begründung und nachvollziehbare Ableitung der Vorgehensweise. | Mehrheitlich Belege aus Studien ohne Kontrollgruppen. |
Inhalt
Das Trainingsprogramm wurde speziell für Kinder entwickelt, die Schwierigkeiten beim Erwerb der Rechtschreibfähigkeit haben oder bei denen eine Rechtschreibstörung diagnostiziert wurde.
Das Training konzentriert sich hauptsächlich auf die typischen Rechtschreibprobleme lese- und schreibschwacher Kinder der 2. bis 4. Grundschulklasse. Ziel ist es, Lösungsstrategien zu vermitteln, die mithilfe speziell entwickelter Rechtschreib-Algorithmen schrittweise zur richtigen Schreibweise führen.
Das Training kann als Einzelunterricht oder in Kleingruppen mit bis zu fünf Kindern durchgeführt werden und sollte inhaltlich auf den regulären Unterricht abgestimmt sein. Es wird empfohlen, zwei Trainingseinheiten pro Woche einzuplanen, die jeweils eine Dauer von maximal 45 Minuten nicht überschreiten sollten. In dieser Zeit sind Spiel- und Erholungszeit bereits enthalten, sodass die effektive Lern- und Übungszeit 20-30 Minuten beträgt.
Das Programm umfasst 12 aufeinander aufbauende Kapitel. Es ist jedoch auch möglich, einzelne Kapitel gezielt zu bestimmten Themen herauszugreifen. Die Kapitel beinhalten folgende Themen: 1) Selbstlaute, 2) Mitlaute, 3) Mitlautverdoppelungen, 4) Hauptwörter, Gross- und Kleinschreibung, Wortstamm und Wortendungen, 5) Zusammengesetzte Hauptwörter, Umlaute und Wortanfang, 6) Tuwörter, 7) Das stumme h, 8) Ausnahmen von der Regel zum stummen h, 9) Dehnungs-e, 10) Selbstlaute trennendes h, 11) Umlaute und 12) Auslaute.
Das Trainingsprogramm nutzt Lernkästen und Regelkarten und umfasst insgesamt acht Rechtschreibregeln. Neben dem Regelwissen werden auch Lösungsstrategien vermittelt. Mithilfe von Algorithmen lernen die Kinder anhand von Entscheidungsbäumen mit Ja/Nein-Antworten, Wörter korrekt zu schreiben. Die Lösungsschritte werden grafisch mit «Kathi» umgesetzt. Eine zusätzliche Strategie visualisiert weitestgehend auditive Probleme, wie die Unterscheidung von lang und kurz gesprochenen Selbstlauten. Regelmässige Wiederholungen der Lerninhalte dienen der Förderung eines nachhaltigen Lernerfolgs. Jedes Kapitel wird mit einer Erfolgskontrolle abgeschlossen.
Das Training kann von Fachpersonen der Pädagogik, Psychologie, Ergotherapie, Logopädie und Medizin durchgeführt werden, die über Fachkenntnisse zur Lese-Rechtschreibstörung verfügen. Auch Eltern können das Training durchführen, wenn sie von Fachpersonen angeleitet werden.
Durchführbarkeit
Das Trainingsprogramm wird als umfangreicher Ordner bereitgestellt. In der Anleitung finden sich die wesentlichen Informationen zur Durchführung, den Zielen und den Inhalten der einzelnen Kapitel. Der Lern- und Übungsbereich gliedert sich in 12 Kapitel, die die Lerninhalte des Trainings vermitteln. Jedes Kapitel wird durch umfangreiches Material ergänzt. Im Anhang werden Materialien angeboten wie Regelkarten, Lernkästen, Buchstaben zum Ausschneiden und weitere Materialien, um die einzelnen Lösungsschritte einzuüben. Auch ein Zeilenlineal ist enthalten. Ein separater Lösungsbereich bietet die Lösungen an, und ein Wortindex listet alle Übungswörter des Trainings auf. «Kathi» präsentiert die Algorithmen, während das Ausrufezeichen «Anton» auf wesentliche Lerninhalte hinweist.
Theoretische Fundierung
Für die theoretische Einordnung der Trainingskonzepts wird das Phasenmodell von Frith (1985) beigezogen. Es beschreibt drei Entwicklungsphasen des Schriftspracherwerbs: die logographische, die alphabetische und die orthographische Phase.
Die logographische Phase ist durch ein ganzheitliches Malen von Wörtern gekennzeichnet. In der alphabetischen Phase lernen die Kinder die Zuordnung von Laut- und Schriftsprache. In der orthographischen Phase entwickeln sie zunehmend orthographisches Wissen.
Phonologische Trainings sind der alphabetischen Phase zuzuordnen und eignen sich bis zur ersten Klasse. Regeltrainings hingegen sind der orthographischen Phase zuzuordnen und werden ab der zweiten Klasse empfohlen.
Bei der Konzeption eines Rechtschreibtrainings sollte der Entwicklungsstand von Zweit- und Drittklässlern in Bezug auf ihre Lese- und Rechtschreibfertigkeiten berücksichtigt werden. Zweitklässler verfügen oft noch nicht über ausgeprägtes Regelwissen. Rechtschreiboperationen, die isoliert beherrscht werden, können oft nicht auf den gesamten Schriftspracherwerb übertragen werden. Daher sollte ein effektives Rechtschreibtraining nicht nur Regelwissen vermitteln, sondern auch gezielt Lösungsstrategien fördern (Scheerer-Neumann, 1988). Im Marburger Rechtschreibtraining wird dieser Ansatz umgesetzt, indem sowohl Regelwissen als auch Lösungsstrategien vermittelt werden.
Das Wortmaterial des Trainings wurde aus dem Grundwortschatz von Pregel und Rickheit (1987) entnommen.
Evaluation
Das Rechtschreibtraining wurde in mehreren Studien evaluiert, vor allem durch die Autoren selbst.
In den Untersuchungen von Schulte-Körne et al. (1997, 1998) wurden Eltern von 17 rechtschreibschwachen Kindern angeleitet, das Training regelmässig mit ihren Kindern durchzuführen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren fanden monatliche Treffen statt. Die Ergebnisse zeigten, dass die Eltern mithilfe des Trainings die Rechtschreibleistungen ihrer Kinder verbessern konnten: Nach einem Jahr zeigte sich ein positiver Effekt auf spezifische Rechtschreibfehler und nach zwei Jahren ein Effekt auf die gesamte Rechtschreibleistung. Zudem stieg das Selbstvertrauen der Kinder an. Da jedoch keine Kontrollgruppe beigezogen wurde, bleibt unklar, ob die beobachteten Verbesserungen tatsächlich auf das Training zurückzuführen sind.
In der Studie von Schulte-Körne et al. (2001) wurde das Training in der Einzelförderung durch eine Medizinstudentin bei 10 rechtschreibschwachen Kindern zweimal wöchentlich durchgeführt. Nach 12 Wochen zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistungen. Eine Veränderung des Selbstvertrauens konnte in diesem Zeitraum nicht festgestellt werden. Zu beachten ist, dass auch in dieser Studie keine Kontrollgruppe berücksichtigt wurde.
Schulte-Körne et al. (2003) evaluierten das Trainingsprogramm im schulischen Kontext. 37 Kinder aus der 2. und 3. Klasse mit Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb erhielten über einen Zeitraum von zwei Jahren Förderung in Kleingruppen, entweder mit dem Trainingsprogramm oder einem schulinternen Programm. Die geförderten Kinder zeigten signifikante Verbesserungen in ihrer Lese- und Rechtschreibleistung und erreichten nach zwei Jahren den Normbereich. Anzumerken ist, dass sich auch die Vergleichsgruppe verbessern konnte.
Barkmann et al. (2012) untersuchte eine Kohorte von 59 Zweit- und Drittklässlern mit einer Rechtschreibschwäche ein Jahr lang in Kleingruppen. Die Ergebnisse zeigten eine Verbesserung der Rechtschreib- und Lesefähigkeit im Vergleich zu den Normgruppen objektiver Testverfahren. Allerdings spiegelten die subjektiven Einschätzungen von Eltern, Lehrpersonen und Trainer:innen diese Fortschritte nicht wider. Auch hier ist kritisch anzumerken, dass keine Kontrollgruppe einbezogen wurde.
Literatur
- Barkmann, C., Kuhlmann, E., Rosenboom, L., Wessolowski, N. & Schulte-Markwort, M. (2012). Evaluation des Marburger Rechtschreibtrainings an Zweit- und Drittklässlern mit Rechtschreibproblemen. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 40(3), 171–179. https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000167
- Frith, U. (1985). Beneath the surface of developmental dyslexia. In K. E. Patterson, J. C. Marshall & M. Coltheart (Hrsg.), Surface dyslexia: Neuropsychological and cognitive studies of phonological reading. L. Erlbaum.
- Pregel, D. & Rickheit, G. (1987). Der Grundwortschatz im Grundschulalter. Olms.
- Scheerer-Neumann, G. (1988). Rechtschreibtraining mit rechtschreibschwachen Hauptschülern auf kognitionspsychologischer Grundlage: Eine empirische Untersuchung. Westdeutscher Verlag.
- Schulte-Körne, G. & Mathwig, F. (2023). Das Marburger Rechtschreibtraining. Ein regelgeleitetes Förderprogramm für rechtschreibschwache Kinder (8. Aufl.). Winkler Verlag.
- Schulte-Körne, G. & Mathwig, F. (2001). Das Marburger Rechtschreibtraining. Winkler Verlag.
- Schulte-Körne, G. , Deimel, W. , Remschmidt, H. (1998). Das Marburger Eltern-Kind-Rechtschreibtraining – Verlaufsuntersuchung nach 2 Jahren. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie, 26, 167–173.
- Schulte-Körne, G. , Schäfer, J. , Deimel, W. , Remschmidt, H. (1997). Das Marburger Eltern-Kind-Rechtschreibtraining. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie, 25, 151–159.
- Schulte-Körne, G., Deimel, W., & Remschmidt, H. (2003). Rechtschreibtraining in schulischen Fördergruppen—Ergebnisse einer Evaluationsstudie in der Primarstufe. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 31(2), 85–98. https://doi.org/10.1024/1422-4917.31.2.85
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Letzte Änderung: 10/2024
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