Fördermassnahmen

Das Lesetraining mit Käpt’n Carlo für 4. und 5. Klassen

von Nadine Spörer, Helvi Koch, Nina Schünemann und Vanessa A. Völlinger (2016)

Einsatzbereich

  • 4. und 5. Klassen
  • Gruppentraining
  • Universelle und selektive Prävention

Qualitätskriterien

Durchführbarkeit Theoretische Fundierung Evaluation
Bewertung Gefüllter Kreis Gefüllter Kreis Gefüllter Kreis
Erläuterung Verständliche Hinweise zur praktischen Umsetzung des Programms. Theoretische Begründung und nachvollziehbare Ableitung der Vorgehensweise. Überzeugende Belege zur  Wirksamkeit.

Inhalt

Das Lesetraining mit Käpt’n Carlo als Leitfigur wurde für Schüler:innen der 4. und 5. Klasse entwickelt, um das Leseverständnis und das motivierte Lesen zu fördern. Dabei lernen die Kinder gezielt Lesestrategien und werden zu selbstreguliertem Lernen angeleitet.

Das Trainingskonzept eignet sich sowohl für den Einsatz im Regelunterricht als auch in Fördergruppen, die ausserhalb des Unterrichts stattfinden. Idealerweise wird es in Kleingruppen mit vier bis sechs Kindern durchgeführt.

Das Training umfasst 14 Unterrichtseinheiten. Es beginnt mit einer Einführungsphase, die fünf Stunden umfasst. In dieser Phase werden die Kinder in die Rahmenhandlung eingeführt und lernen die Figuren Käpt’n Carlo und Papagei Einstein kennen. Zudem machen sie sich mit den vier Lesestrategien Klären, Fragen, Zusammenfassen und Vorhersagen vertraut.

In der Festigungsphase, die auf neun Stunden ausgelegt ist, üben die Kinder, die Lesestrategien selbstständig anzuwenden.

Der Ablauf der Stunden folgt einer festen Struktur: Zunächst tragen die Kinder in den ersten zehn Minuten ihre Leseziele in ihr Lesetagebuch ein, und die Gruppe wählt gemeinsam einen Text aus. In den folgenden 25 Minuten lesen sie den Text abschnittsweise und wenden die Lesestrategien an, wobei die Gruppenmitglieder abwechselnd die Rolle des Gruppenkapitäns übernehmen. Die Aufgaben des Kapitäns sind in einem Logbuch festgehalten, und die anderen Gruppenmitglieder folgen den Anweisungen des Kapitäns. In den letzten zehn Minuten bearbeiten die Kinder individuell ein Quiz zum Text. Ihre Ergebnisse tragen sie auf der «Quizpalme» ein, einem Blatt, das die Lernfortschritte visualisiert. Anhand ihrer Lernkurven können die Kinder erkennen, ob sie im Laufe des Trainings zunehmend Texte verstehen.

Am Ende des Trainings wird jedes Kind mit einer Urkunde ausgezeichnet und zum «Lesekapitän» ernannt. Anschliessend können die Kinder gemeinsam eine Schatzkiste öffnen, die die Lehrperson mit kleinen Überraschungen gefüllt hat.

Durchführbarkeit

Das Manual bietet eine Übersicht über den Trainingsablauf sowie detaillierte Anleitungen für jede einzelne Unterrichtsstunde inklusive Zeit, Ziel, Inhalt, Methode/Sozialform und Materialien. Die Wissensvermittlung ist in eine altersgerechte Rahmenhandlung eingebettet, die von den Figuren Käpt’n Carlo und Papagei Einstein getragen wird.

Zur Unterstützung des Trainings stehen Hilfsmaterialien wie Lesezeichen, ein Logbuch, Strategiekarten und ein Blatt mit den vier Lesestrategien bereit sowie einheitlich gestaltete Texte. Die Texte sind in verschiedenen Schwierigkeitsgraden verfügbar. Auf einer beiliegenden CD-ROM finden sich alle Arbeitsmaterialien in PDF-Form, einschliesslich Texte, Quizfragen und Lösungen.

Theoretische Fundierung

Im Training lernen Kinder in Kleingruppen nach der Methode des reziproken Lehrens, entwickelt von Palincsar und Brown (1984). Diese Methode wurde ursprünglich zur Förderung von Kindern mit erheblichen Defiziten im Leseverständnis konzipiert. Palincsar hatte als Lehrerin festgestellt, dass viele Kinder zwar flüssig lesen konnten, jedoch Schwierigkeiten hatten, den Inhalt des Gelesenen zu verstehen.

Palincsar und Brown entwickelten das Förderprogramm in zwei Schritten: Zuerst identifizierten Lesestrategien, die den Kindern helfen, den Textinhalt selbstständig zu erfassen. Anschliessend erarbeiteten sie eine Methode, mit der Kinder diese Strategien in etwa acht Wochen erlernen können.

Bei der Wahl der Lesestrategien orientierten sich Palincsar und Brown an der Leseforschung (Brown, Campione & Day, 1981): Gute Leser aktivieren ihr Vorwissen, konzentrieren sich auf die Kernaussagen, überprüfen die innere Stimmigkeit des Textes, ziehen Schlussfolgerungen und kontrollieren fortwährend, ob sie das Gelesene verstanden haben. Aus diesen Kriterien des „guten Lesens“ leiteten Palincsar und Brown vier Strategien ab, die Kindern vermittelt werden sollten:

  • Unklarheiten erkennen, um Verständnisschwierigkeiten zu beheben
  • Eigene Fragen zum Text stellen, um das Verständnis zu fördern
  • Textabschnitte zusammenfassen, um Kernaussagen zu erfassen
  • Vorhersagen treffen, um das Verständnis des Gelesenen zu überprüfen

 

Beim reziproken Lehren werden diese vier Lesestrategien in Kleingruppen auf Sachtexte angewendet. Den theoretischen Hintergrund zur Wirkung reziproken Lehrens bilden Modelle des selbstregulierten Lernens (Zimmerman, 2002), bei dem die Lernziele gesetzt, passende Strategien gewählt, deren Anwendung überwacht und der Erfolg geprüft wird.

Evaluation

Gemäss Autorinnen gehört die Methode des reziproken Lehrens zu den evidenzbasierten Fördermassnahmen. So zeigte eine Metaanalyse von Rosenshine und Meister (1994), dass diese Methode bei standardisierten Tests sowie bei schul- und alltagsnahen Leseverständnisaufgaben herkömmlichen Lesefördermethoden überlegen ist. Im Manual wird in diesem Rahmen zudem auf Forschung der Autorinnen Bezug genommen, die vor der Veröffentlichung des Trainings durchgeführt wurde (Seuring & Spörer, 2019; Spörer et al., 2009).

Ausserdem betonen die Autorinnen, dass reziprokes Lehren im Klassenkontext besonders effektiv ist, wenn es durch Selbstregulationsprozesse ergänzt wird (Schünemann et al., 2013; Spörer & Schünemann, 2014). Diese Prozesse wurden im Lesetagebuch integriert.

Eigene Studien der Autorinnen zeigen zudem, dass das Trainingsprogramm erfolgreich in den Zieljahrgangsstufen eingesetzt werden kann. Koch und Spörer (2016) untersuchten mit 244 Fünftklässler:innen die Wirksamkeit von zwei Methoden, die durch Lehrkräfte durchgeführt wurden. Die erste Methode beinhaltete reziprokes Lehren, ergänzt durch Selbstregulationsstrategien. Die zweite Methode bestand aus einer von Lehrkräften entwickelten Unterrichtseinheit basierend auf Lesestrategien. Zusätzlich gab es eine Kontrollgruppe ohne Behandlung. Die Ergebnisse zeigten, dass Schüler:innen der Gruppe reziprokes Lehren und Selbstregulationsstrategien im Leseverständnis, in der Anwendung von Lesestrategien und im Selbstwirksamkeitsgefühl signifikante Fortschritte erzielte, insbesondere beim Post-Test und teilweise im Follow-Up. Die Schüler:innen der Gruppe mit der durch Lehrkräfte entwickelten Unterrichtseinheit zeigten hingegen keine signifikanten Verbesserungen gegenüber der Kontrollgruppe.

Das Training liess sich auch erfolgreich in andere Fächer einbinden. Hierzu wurden im Deutschunterricht die Grundlagen vermittelt und das reziproke Lehren anschliessend zur Unterstützung des Textverständnisses in Fächern wie Sachkunde oder Biologie genutzt (Koch, 2015).

Literatur

  • Brown, A. L., Campione, J. C. & Day, J. D. (1981). Learning to learn: On training students to learn from texts. Educational Researcher, 10, 14–21. https://doi.org/10.3102/0013189X010002
  • Koch, H. & Spörer, N. (2016). Effekte des Reziproken Lehrens im Vergleich mit einer von Lehrkräften konzipierten Unterrichtseinheit zur Förderung der Lesekompetenz. In M. Philipp & E. Souvignier (Hrsg.), Implementation von Lesefördermassnahmen. Perspektiven auf Gelingensbedingungen und Hindernisse (S. 99–122). Waxmann.
  • Koch, H. (2015). Effekte des um Selbstregulationsprozeduren angereicherten Reziproken Lehrens. Regellehrkräfte als Strategieinstruktoren zur Förderung der Lesekompetenz von Grundschülern. Universität Potsdam.
  • Koch, H. & Spörer, N. (2016). Förderung der Lesekompetenz mittels reziproken Lehrens: Implementation und Wirksamkeit im Regelunterricht. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 30(4), 213–225. https://doi.org/10.1024/1010-0652/a000176
  • Palincsar, A. S. & Brown, A. L. (1984). Reciprocal teaching of comprehension-fostering and comprehension-monitoring activities. Cognition and Instruction, 1, 117–175. https://doi.org/10.1207/s1532690xci0102_1
  • Rosenshein, B. & Meister, C. (1994). Reciprocal teaching. A review of the research. Review of Educational Research, 64, 479–530. https://doi.org/10.3102/00346543064004479
  • Schünemann, N., Spörer, N. & Brunstein, J. C. (2013). Integrating self-regulation in whole-class reciprocal teaching: An analysis of incremental effects on fifth graders’ reading comprehension, reading strategies and self-efficacy for reading. Contemporary Educational Psychology, 38, 289–305. http://dx.doi.org/10.1016/j.cedpsych.2013.06.002
  • Seuring, V. A. & Spörer, N. (2010). Reziprokes Lehren in der Schule: Förderung von Leseverständnis, Leseflüssigkeit und Strategieanwendung. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 24, 191–205. https://doi.org/10.1024/1010-0652/a000016
  • Spörer, N., & Schünemann, N. (2014). Improvements of self-regulation procedures for fifth graders’ reading competence: Analyzing effects on reading comprehension, reading strategy performance, and motivation for reading. Learning and Instruction, 33, 147–157. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2014.05.002
  • Spörer, N., Brunstein, J. C. & Kieschke, U. (2009). Improving student’s reading skills: Effects of strategy instruction and reciprocal teaching. Learning & Instruction, 19, 272–286. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2008.05.003
  • Spörer, N., Koch, H., Schünemann, N. & Völlinger, V.A. (2016). Das Lesetraining mit Käpt’n Carlo für 4. und 5. Klassen. Ein Lehrermanual mit Unterrichtsmaterialien zur Förderung des verstehenden und motivierten Lesens. Hogrefe.
  • Zimmermann, B. J. (2002). Becoming a self-regulated learner: An overview. Theory into Practice, 41, 64–70. https://doi.org/10.1207/s15430421tip4102_2

 

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Letzte Änderung: 10/2024

 

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