Längerfristige Schulentwicklung
II. Zusammenarbeit
Wie können Sie Zusammenarbeit in der Schule längerfristig gestalten und weiterentwickeln?
Zusammenarbeit ist ein Thema, das die Schule unaufhörlich beschäftigt. Da unterschiedliche Professionen in der Schule arbeiten, muss unweigerlich zusammen gearbeitet werden. Darüber hinaus besteht in der Wissenschaft weitgehend Konsens darüber, dass guter Unterricht und die gute Schule stark mit der Qualität und Intensität der Zusammenarbeit einhergeht.
«Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen. Sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.»
Saint Exupéry
Spannungsfeld
«Die Aufgaben, die in der Schule bearbeitet werden, sind zu komplex für eine Person alleine.»Es ist wohl dem Ideal der «funktionalen Differenzierung» nach Durkheim geschuldet, dass die Schule als Organisation und die in ihr arbeitenden Professionellen am liebsten die Problemlagen sortieren und zuteilen: «Du machst das, ich mache das.» Während die Mitarbeitenden die Aufgaben möglichst delegativ aufteilen möchten, müssen Sie als Schulleitung / Teacher Leader dagegen halten: Entlastende Zusammenarbeit, die für die Schüler:in gute Lösungen findet, zeichnet sich durch Ko-Konstruktion und eine Situationsorientierung aus.
Wann Kooperieren?
Effektive Zusammenarbeit geschieht, wenn die Notwendigkeit der Zusammenarbeit für alle Beteiligten evident ist. Es geht nicht darum, dass das, was besser alleine gemacht werden kann, unbedingt in Kooperation erfolgen soll. Längerfristig muss ein Nutzen für alle Beteiligten sichtbar werden.
In der Forschung wurde in den letzten Jahren klar, dass insbesondere die Kooperation in der Unterrrichtsplanung, -durchführung und -evaluation effektiv ist. Das heisst, wenn Zusammenarbeit in Bezug auf das Lernen von Schüler:innen intensiviert werden soll, soll für die → kooperative, ko-konstruktive Unterrichtsvorbereitung Zeit investiert werden.[1] Es sind dafür unterschiedliche Vorgehensweisen entwickelt worden.
Multiprofessionelles Situationsteam
Qualitativ gute und entlastende multiprofessionelle Zusammenarbeit bedeutet nicht, dass von vornherein klar ist, für welche Schüler:innen wer zuständig ist. Vielmehr geht es darum, die Verantwortung auf mehreren Schulter zu verteilen und bei herausfordernden Situationen gemeinsam zu besprechen, wer was zur Lösung des Problems beitragen kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass die verschiedenen Hintergründe (LP, SHP, SSA) nicht eingebracht werden – jedoch werden sie in Bezug auf eine Situation eingebracht, und nicht von vornherein für die Einschätzung der Situation im Sinne einer Voraus-Setzung wirksam. Wenn in einem «Situationsteam»[2] gearbeitet wird, können Herausforderungen entlastend gemeinsam gemeistert werden.
Professionsrollen
Wie oben erwähnt, kann es kontraproduktiv sein, wenn von vornherein klar ist, wer für welche Schüler:innen zuständig ist. Professionen in der Pädagogik definieren sich jedoch in der Theorie über Zuständigkeitsbereiche. Wenn die Professionsrolle zu stark betont wird, werden Herausforderungen zu «Fällen», die über Kategorisierungen einer bestimmten Profession zugewiesen werden können. Damit verspielt sich ein multiprofessionelles Team jedoch die Möglichkeit, eine konkrete Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren und eine auf die entsprechende Situation passende Lösung zu finden – viel eher werden dann Interventionen vorgeschlagen, die die entsprechende Problemsituation nicht mehr adäquat fasst. [3] Professionelle müssen somit in der Lage sein, ihre spezifische Sichtweise einzubringen, jedoch auch von ihrer Sichtweise abzurücken, um nicht ein:e Schüler:in einer Kategorie passend zu machen, sondern eine Situation in den Blick zu nehmen, um diese zu verändern.
Zusammenarbeitsgefässe
Wie oben erwähnt, ist eine Zusammenarbeit insbesondere im Bereich der Unterrichtsentwicklung zu empfehlen, weil sie da grosse Auswirkungen zeigt. Es wird deshalb empfohlen, feste pädagogische Teams zu stärken, die sich regelmässig treffen, um konkret an der Unterrichtsgestaltung zu arbeiten. Dafür ist es wichtig, die Beteiligten ein regelmässiges Zeitgefäss definieren zu lassen. Auch sollten die pädagogischen Teams wenn möglich über die Jahre möglichst konstant gehalten werden und multiprofessionell zusammengesetzt sein. Sitzungen mit dem ganzen Schulhausteam sind auf ein Minimum zu reduzieren, damit Zeit für die Kooperation in Bezug auf den Unterricht vorhanden ist.[4]
«Interessanterweise berichten gerade diejenigen Lehrkräfte von (leicht) entlastenden Wirkungen der Kooperation, die sich in zeitaufwändigen sog. kokonstruktiven Kooperationsformen engagieren.»[5]
Belastung und Delegation
Lehrpersonen haben vielfach das Gefühl, dass Belastung daraus resultiert, dass in ökonomischer Weise die zeitliche Arbeitsbelastung verringert wird: Je mehr die Arbeit aufgeteilt ist, desto früher kann ich nach Hause, desto entlasteter fühle ich mich. Studien legen jedoch nahe, dass dies nicht zutrifft, sondern dass eine längerfristige Entlastung über eine kokonstruktive Zusammenarbeit entsteht, indem die «Last auf mehreren Schultern» verteilt wird.[6] Entlastende Zusammenarbeit entsteht demnach nicht über eine Arbeitsteilung, in der die Herausforderungen verschiedenen Professionellen delegiert werden, sondern in der längerfristigen Etablierung ko-konstruktiver Situationsteams.
Offenheit und Vertrauen
Solche Teams sind abhängig von der Lernfreude der Professionellen: Wenn gemeinsam ko-konstruktiv etwas entwickelt werden soll, muss vom eigenen Standpunkt abgewichen werden können. Dies benötigt ein grundsätzliches Vertrauen, dass Abweichung von einem Standpunkt nicht bedeutet, dass grundsätzlich die Kompetenz der Person in Frage gestellt wird. Dies wird als «Psychologische Sicherheit»[7] bezeichnet: Es ist wichtig, eigene Fehler zugeben zu können. Ihre Mitarbeiterinnen müssen sich so sicher fühlen, dass Gedanken, Ideen, Bedenken, Kritik oder Fehler geäussert werden können, ohne Beschämung oder Strafe zu befürchten.
Instrumente zur Schulentwicklung im Bereich Zusammenarbeit
Die Stadt Zürich stellt ein Instrument zur Verfügung, das hilft, die Zusammenarbeit regelmässig zum Thema zu machen. → Werkzeug Zusammenarbeit
Mithilfe der → ZaS-Bausteine können Schulen ihre Zusammenarbeit reflektieren und inklusionsorientiert weiterentwickeln. Dabei werden die Ebenen Schulleitung, Team und einzelne Mitarbeitende unterschieden.
Der → Leitfaden zur Schulentwicklung bietet Schulleitungen einen Überblick über die wichtigen Aspekte zum Thema, wie Teams gemeinsam Perspektiven erweitern können.
Im Index für Inklusion ist der gemeinsame Dialog in der Schulentwicklung zentral – und auch die Zusammenarbeit ein grosses Thema. So kann auch mit dem → Index für Inklusion am Thema Zusammenarbeit gearbeitet werden.
Blick über die Landesgrenze: In Bielefeld wurde ein Weiterbildungskonzept entwickelt. Dazu wurde ein Praxishandbuch geschrieben, das Open Access verfügbar ist → BiFoKi – Kooperation in inklusiven Schulen
- Maag Merki, K., Kunz, A., Werner, S., & Luder, R. (2010). Professionelle Zusammenarbeit in Schulen. Schlussbericht PZiS. Zürich: UZH/ PHZH, S. 101. ↵
- Widmer-Wolf, P. (2016). Erweitertes Verständnis beruflicher Autonomie für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen in der Zusammenarbeit mit Lehrkräften in inklusiven Schulen. In A. Kreis, J. Wick, & C. Kosorok Labhart (Hrsg.), Kooperation im Kontext schulischer Heterogenität (S. 171–184). Münster: Waxmann. ↵
- Labhart, D. (2019). Interdisziplinäre Teams in inklusiven Schulen. Eine ethnografische Studie zu Fallbesprechungen in multiprofessionellen Gruppen. Bielefeld: transcript. ↵
- Maag-Merki et al. (2010), s.o. ↵
- Böhm-Kasper, O. (2018). Auf mehrere Schultern verteilen. Friedrich Jahresheft, 30–31, S. 31. ↵
- Widmer-Wolf, P. (2014). Praxis der Individualisierung. Wie multiprofessionelle Klassenteams Fördersituationen für Kinder im Schulalltag etablieren. Opladen: Budrich UniPress; Böhm-Kasper, O. (2018), s.o. ↵
- Edmondson, A.C. (2021). Die angstfreie Organisation. Franz Vahlen. ↵