Theoretische Grundlagen
Kommunikation
«… Kinder beginnen nicht deshalb, Sprache zu gebrauchen, weil sie dazu die Fähigkeit haben, sondern weil sie viele Dinge nur durch ihren Gebrauch erreichen können.»
(Bruner, 2002, S. 88)
Kommunikation ist eine wesentliche Grundlage des menschlichen Zusammenlebens. Sie dient dem Austausch von Informationen zwischen Lebewesen und zwischen technischen Geräten. Dass Kommunikation gelingt, ist zentral für das Miteinander in der Familie und im Freundeskreis sowie für den Erfolg in Schule und Beruf. Zur Kommunikation gehören Sender und Empfänger, zur Übermittlung einer Nachricht zwischen Sender und Empfänger wird ein gemeinsames Zeichensystem bzw. ein Code benötigt. Sender und Empfänger müssen über die Fähigkeit verfügen, das Zeichensystem zu encodieren (verschlüsseln) und zu decodieren (entschlüsseln). Der Code kann verbal (sprachlich), nonverbal (Mimik, Gestik, Bewegung, Haltung, Habitus …), paraverbal (Stimme, Lautstärke, Sprechtempo, Sprachmelodie …) oder auch Gebärdensprache sein. Verbale Kommunikation kann in mündlicher oder in schriftlicher Form erfolgen. Sie vermittelt nicht nur den sachlichen Inhalt einer Nachricht, sondern weit darüber hinaus auch noch den Beziehungs-, Ausdrucks- und Appellaspekt. (Watzlawick, 1990, Schulz von Thun, 2008). Kommunikation ist zudem immer in einen Kontext eingebunden. Mit Kontext sind alle Elemente gemeint, die das Verständnis einer Nachricht beeinflussen. Kontexte sind z. B. Raum und Zeit, in denen die Kommunikation stattfindet, die persönliche Situation, die Haltungen, Einstellungen und das Wissen der Kommunizierenden und die Beziehung, in der sie zueinander stehen. Mit sprachlichem Kontext ist die grammatische, semantische oder textuelle Umgebung der Zeichen, Wörter oder Sätze gemeint.
Sprache
Sprache ist wesentlich für den Menschen. Durch Sprache können Menschen sich selbst und ihre Bedürfnisse ausdrücken und miteinander in Kontakt treten. Sprache hat eine besondere Bedeutung für die kindliche Entwicklung, sie ist Lerngegenstand und Kommunikationsmittel und hat eine zentrale Rolle für das schulische Lernen. Der Spracherwerb vollzieht sich in enger Verbindung und in wechselseitiger Abhängigkeit mit der kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung.
Aus linguistischer Sicht ist Sprache ein System von Zeichen. Sie lässt sich in die Ebenen Phonetik und Phonologie (Lautbildung und Lautunterscheidung), Morphologie und Syntax (Wortbildung und Satzbau), Lexikon und Semantik (Wortschatz und Wort- und Satzbedeutung) und Pragmatik (Sprachverwendung) einteilen. Die Grafik von (Tracy, 2007, S. 34) veranschaulicht die Bedeutung der Sprachebenen. Der üblichen Einteilung hat die Autorin noch die Prosodie (Betonung, Sprachmelodie) hinzugefügt, da diese für den Erst- und Zweitspracherwerb eine besondere Bedeutung hat.
Pragmatik
In der Pragmatik geht es um die Regeln und Prinzipien der menschlichen Kommunikation. Das Wissen um diese Regeln der Sprachverwendung, ihr korrekter Gebrauch in unterschiedlichen Situationen, Umgebungen (Kontexten) sowie die Bereitschaft, die Bedingungen des Kontextes und die Bedürfnisse der Kommunikationspartner zu beachten, wird als pragmatische Kompetenz bezeichnet.
Achhammer und Kölliker-Funk (2017, S. 104) heben in ihrer Definition die Bedeutung des Kontextes für die Pragmatik hervor: «Pragmatik ist die Fähigkeit, im jeweiligen Kontext die relevanten Informationen im angemessenen Sprachcode im Gespräch zu übermitteln. Sie bezeichnet die Beziehung zwischen Sprachnutzern, Sprache und Kontext.»
Die Elemente des Kontextes wie Raum, Zeit, Umgebung, Haltungen, Einstellungen, Wissen etc. beeinflussen die Bedeutung einer Äusserung ganz wesentlich. Wird der Kontext nicht beachtet, entstehen Missverständnisse oder Irritationen, die Kommunikation misslingt – trotz korrekter Aussprache, passender Wortwahl, eines korrekten Satzbaus. Pragmatische Kompetenz ermöglicht es, die verbalen, nonverbalen und paraverbalen Kommunikationsmittel passend zum Kontext und zur Situation einzusetzen sowie die speziellen sprachlichen Aspekte wie Wortwahl und Satzbau auf den Kommunikationspartner, die spezifische Situation und das Kommunikationsziel abzustimmen. Ganz konkret bedeutet das z. B. die Nutzung von komplexen Sätzen und einem spezifischen Fachwortschatz im beruflichen Umfeld oder den Einsatz von kurzen einfachen Sätzen und einem begrenzten Wortschatz in der Kommunikation mit sehr kleinen Kindern.
Während bei einer engeren linguistischen Perspektive nur die verbalen, nonverbalen und paraverbalen Teilkompetenzen zur pragmatischen Kompetenz gerechnet werden, werden im weiteren Sinne auch die basalen Kompetenzen der Wahrnehmung, Kognition und Emotion der pragmatischen Kompetenz zugeordnet.
Aufbau pragmatischer Kompetenzen
Sprachliche Aspekte der Pragmatik
Sprechakte – Sprachhandlungen
Die Theorie der Sprechakte stammt vom amerikanischen Sprachphilosophen John Austin und wurde von seinem Schüler John Searle weiterentwickelt. Grundlage der Sprechakttheorie ist die Annahme, dass sprachliche Äusserungen nicht nur Informationen übermitteln, sondern mit Handlungen verbunden sind. Die Äusserung des Richters: «Ich verurteile Sie auf Bewährung» oder des Notars: «Hiermit sind Sie der Besitzer des Grundstücks» wie auch das Sprechen einer Eidesformel, die Segnung in der Kirche oder auch das Versprechen sind Beispiele, die dies veranschaulichen. Sprechakte lassen sich noch in weitere Teilakte unterteilen, die aber im Kontext des Förderprogramms keine Rolle spielen und daher nicht erläutert werden. Sprechakte können in direkte und indirekte Sprechakte unterteilt werden. Indirekte Sprechakte, in denen der Sprecher seine Äusserungsabsicht zunächst nicht klar zum Ausdruck bringt, werden insbesondere im Zusammenhang mit Ironie, Höflichkeit oder Humor bedeutsam. Das Verständnis von indirekten Sprechakten erfordert die Interpretation des Kontextes sowie den Einbezug der nonverbalen und paraverbalen Anteile der Kommunikation. Die weiter unten erklärten Implikaturen (versteckte Bedeutungen) sind Beispiele für indirekte Sprechakte. Sprechakte, die für das Förderprogramm eine besondere Bedeutung haben, sind die Paarsequenzen. Sie sind in der Regel in Handlungen eingebettet und folgen aufeinander.
Typische Paarsequenzen mit Beispielen nach Gruber, 2001, S. 1226–1229, Linke et al., 1996, S. 332.
Paarsequenz | Beispiel |
---|---|
Frage – Antwort | Hast du Durst? Ja! |
Gruss – Gegengruss | Guten Abend! Guten Abend! |
Aufforderung – Antwort | Komm jetzt bitte zum Essen! Gleich, ich muss noch Hände waschen! |
Bitte – Gewährung/Ablehnung | Darf ich den Stift kurz ausleihen? Ja, gern! oder Nein, den brauche ich selbst! |
Angebot/Vorschlag – Annahme/Ablehnung | Möchtest du noch etwas trinken? Nein, danke! oder Ja, bitte noch einen Kaffee! Wollen wir einen Film gucken? Oh ja gern! oder Nein, das finde ich langweilig! |
Beurteilung – Zustimmung/Ablehnung | Heute ist es zu heiss, um Fussball zu spielen. Ja, du hast recht. Wir gehen besser zum Schwimmen. Ich finde es gar nicht so heiss heute, wir können im Schatten spielen. |
Vorwurf – Rechtfertigung/Eingeständnis/Entschuldigung | Du bist schon wieder zu spät! Der Zug hatte Verspätung, dafür kann ich nichts! Ja, ich kann meine Zeit einfach nicht richtig einteilen. Entschuldige bitte, es tut mir leid, dass du warten musstest. |
(Gruber, 2001, S. 339; Linke, 1996, S. 339)
turn taking – gesprächsführung, sprecherwechsel
Damit Gespräche gelingen, müssen die Sprechenden wissen, wann sie sprechen und wann sie zuhören müssen, und erkennen, wann die Gelegenheit zum Sprecherwechsel ist. Die englische Bezeichnung «Turn-Taking» nimmt diesen Aspekt auf. Es geht darum, wann und wie ein Sprechender einen Gesprächsbeitrag leistet und das Gespräch weiterführt. Für den Sprecherwechsel gibt es auch in alltäglichen Kommunikationssituationen klare Regeln. Sie legen die Stellen im Gespräch oder die Verhaltensweisen der Gesprächsteilnehmenden, die den Wechsel des Rederechts ermöglichen, fest. Ein Sprecherwechsel kann z. B. durch Fremdwahl von Seiten des Sprechenden erfolgen. In diesem Fall übergibt der Sprechende das Rederecht aktiv z. B. durch Fragen, Angebote oder Bitten an die nächste Person. Gesprächsteilnehmende können aber auch von sich aus das Rederecht beanspruchen und einen Gesprächsbeitrag leisten. Idealerweise erfolgt ein Sprecherwechsel in einer kurzen Pause, längere Gesprächspausen werden meist von den Teilnehmenden an Gesprächen als unangenehm empfunden. Sie erfordern einen Wechsel der Sprechenden oder das Beenden des Gesprächs. Gerade in Alltagsgesprächen oder bei kontroversen oder emotional aufgeladenen Gesprächsthemen kommt es auch häufig zu Überlappungen der Redebeiträge. Während einer Gesprächsphase sprechen dann zwei Personen gleichzeitig, sie warten mit dem Gesprächseinstieg nicht die Pause ab, sondern fallen dem Sprechenden ins Wort. Ob dieses Verhalten von den Gesprächsteilnehmenden noch als passend zu den Regeln des Sprecherwechsels empfunden wird, hängt von der Länge der Überlappung und der Art der Unterbrechung sowie vom Kontext des Gesprächs ab. Während kurze Überlappungen in Alltagsgesprächen üblich sind, gelten längeres Parallelsprechen oder ein aggressives, abruptes Unterbrechen als unhöflich. Hingegen in Diskussionsrunden insbesondere mit politischen Themen ist dieses Gesprächsverhalten eine übliche Form, denn wer sich an die Gesprächsregeln hält, kommt hier oft nicht zu Wort.
Ab einem Alter von ca. 18 Monaten ergreifen Kinder die Gesprächsinitiative. Sie können über 2 Gesprächsbeiträge (turns) hinweg ein Gespräch aufrechterhalten und beachten schon Elemente des Sprecherwechsels. Ab 36 Monaten sind die kindlichen Äusserungen auf das Gesprächsthema abgestimmt. Mit 4–5 Jahren können Kinder ein längeres Gespräch mit verschiedenen Personen zu unterschiedlichen Themen führen. Sie reagieren passend auf Nachfragen. Im Kindergarten und in der Schule ist das Thema der Gesprächsführung ein wichtiges Thema. Hier sind andere Gesprächsregeln als im familiären Kontext notwendig, damit die Kommunikation in grösseren Gruppen gelingen kann. Sie werden im institutionellen Setting eingeführt und geübt.
Implikaturen – versteckte bedeutung
Der Begriff der Implikatur kommt aus dem Englischen (implicature, to implicate) und wurde vom Sprachphilosophen Grice eingeführt. Gemeint ist, dass bei sprachlichen Äusserungen zwischen dem ausdrücklich oder «explizit» Gesagten und dem nicht ausdrücklich Gesagten, aber «implizit» Gemeinten unterschieden wird. Ein Sprecher äussert also etwas anderes, als er tatsächlich meint. Die höfliche Frage: «Könntest du mir bitte die Butter reichen», stellt tatsächlich nicht die Frage, ob die angesprochene Person die Handlung tatsächlich ausführen kann, sondern umschreibt die Aufforderung «Reich mir die Butter» in einer höflichen Form als Bitte. Um Implikaturen verstehen zu können, muss häufig auch Kontextwissen hinzugezogen werden. Die Aufforderung «Zieh deine Jacke an» impliziert z. B. die Information, dass es draussen kalt ist oder/und dass die Person sich rasch erkältet oder auch, dass ein längerer Aufenthalt im Freien geplant ist. Dieses wird aber üblicherweise nicht ausdrücklich geäussert. Das Verstehen von Implikaturen ist auch für Kinder im Schulalter häufig noch eine Herausforderung.
Höflichkeit
Wie die Beispiele im vorherigen Abschnitt zeigen, ist Höflichkeit eng mit der Implikatur verbunden. Höflichkeit ist ein sozial angemessenes Verhalten, höfliche Äusserungen geben dem Gegenüber die Möglichkeit, einer Bitte nicht nachzukommen. Höflichkeit kann mit unterschiedlichen verbalen Mitteln ausgedrückt werden. Explizit werden «Bitte» oder «Danke» den Äusserungen hinzugefügt, es werden indirekte Sprechakte und Implikaturen verwendet, z. B. «Es klingelt» anstelle von «Öffne die Tür», Modalverben, Konjunktivformen oder auch Füllwörter wie «eigentlich», «ein bisschen», «aber» …«Könnten Sie ein bisschen zur Seite gehen?». Auch die Verwendung von Anredeformen wie das Siezen oder die Verwendung von Titeln drücken Höflichkeit aus. Höflichkeit ist immer von den Besonderheiten und Anforderungen der jeweiligen Kultur abhängig. Bei Kindern mit Migrationshintergrund ist dieses Thema besonders relevant. Diesbezügliche Kommunikationsregeln variieren bereits innerhalb von Sprachgemeinschaften, in Verbindung mit Mehrsprachigkeit und Interkulturalität nimmt die Varianz noch zu. Personen, die in einer anderen Kultur sozialisiert wurden, lernen auch andere kommunikative Gepflogenheiten, z. B. höflichere, indirektere oder direktere Sprache. Die Kulturspezifität von Kommunikationsstandards ist im Kontext von Höflichkeitsformen besonders bedeutsam.
Reparaturen – verbesserungen
Kommunikation ist störungsanfällig. Störungen treten sowohl beim Sprechen, beim Hören als auch beim Verstehen auf. Der Begriff der Reparatur bezieht sich auf alle Verfahren, mit denen Gesprächsteilnehmer Äusserungen oder Teile von Äusserungen so verändern, dass sie korrekt sind und Fehler behoben werden. Reparaturen können vom Sprecher selbst von sich aus vorgenommen, durch den Hörer initiiert oder auch vom Hörer gemacht werden. So beispielsweise «Kann ich bitte noch Kaffee, ach, ich meine Milch haben.» oder «Das ist doch die Frau Meier, nein, wie heisst die nochmal?» «Müller». Ab einem Alter von 4–5 Jahren zeigen Kinder adäquate Reaktionen auf Nachfragen, sie wiederholen oder modifizieren eigene Äusserungen und beherrschen Selbstreparaturen.
Präsupposition – gemeinsames wissen
Sprecher und Hörer verfügen im Gespräch über gemeinsames Vorwissen. Dieser gemeinsame Wissenshintergrund, der wechselseitig bekannt ist oder als gegeben akzeptiert wird, wird in der Linguistik Präsupposition genannt. Da angenommen wird, dass Sprecher und Hörer über die Informationen zum direkten Gesprächskontext oder zu vorherigen Gesprächen oder zum allgemeinen gesellschaftlichen oder kulturellen Kontext oder über den Gesprächspartner verfügen, müssen diese Informationen im Gespräch nicht mehr ausdrücklich erwähnt werden. Die Herausforderung für den Sprecher besteht darin, zu unterscheiden, was er näher erläutern muss und was als bekannt vorausgesetzt werden kann. Ein Beispiel hierfür ist, dass Kindergartenkinder nach kurzer Zeit im Kindergarten verstehen, dass mit der Aufforderung «Kommt in den Kreis», gemeint ist, dass alle Kinder ihre Stühle zu einem Kreis aufstellen und im Kreis bestimmte Arbeitsformen wie z. B. Gespräche, Vorlesen, Singen stattfinden. Ob Kinder diese Leistung erbringen können, hängt von ihrer Fähigkeit ab, den relevanten Kontext zu überblicken. «Man hat festgestellt, dass Kinder ab dem Alter von etwa 4 Jahren dazu in der Lage sind, ihren Ausdruck von Intentionen in Abhängigkeit von dem jeweiligen Adressaten zu modifizieren – sie aktualisieren dabei als bestimmte Präsuppositionen, zum Beispiel bestimmte Annahmen darüber, was ihr Gesprächspartner weiss.» (Maibauer, 2013, S. 31)
Ironie und Witz
Ironische oder witzige Bemerkungen sind unter Erwachsenen durchaus üblich. Ironie ist ein sprachliches Stilmittel, bei dem das Gegenteil von dem, was gemeint ist, gesagt wird. Streng genommen ist sie die Unwahrheit, aber sowohl Sprecher als auch Hörer sind sich dessen bewusst. Während Sprecher das Mittel der Ironie häufig wählen, weil es für sie einfacher ist, einen bestimmten Sachverhalt auszudrücken, ist das Verständnis von Ironie für den Hörer mit höheren Anforderungen verbunden. Um eine ironische Aussage richtig zu verstehen, muss das geteilte Kontextwissen der Kommunikationspartner sowie Tonfall und Mimik des Sprechenden berücksichtigt werden. Kinder sind bis zum Alter von 5–6 Jahren noch nicht in der Lage, Ironie zu verstehen.
Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive ist der Witz eine Textsorte oder Erzählform. Man kann zwischen einem Witz, der aus einer Situationskomik entsteht, und einem Witz, der ähnlich wie eine Erzählung aufgebaut ist und die Elemente Einleitung, Dramatisierung und Pointe enthält, unterscheiden. Die Entwicklung von Witz und Humor setzt bei Kindern bereits im 1. Lebensjahr ein.
Metaphern
Metaphern sind sprachliche Stilmittel. In bildhafter Sprache wird die Bedeutung von Dingen oder Ereignissen neu beschrieben, Dabei werden Begriffe im übertragenen Sinn, d. h. in einem anderen Kontext als üblicherweise verwendet. Metaphern wie Rabeneltern, rosarote Brille, Schnee von gestern oder den Nagel auf den Kopf treffen zeigen, dass sie in unserer Alltagssprache häufig vorkommen. Das Verständnis von Metaphern kann bei Kindern prinzipiell erst ab einem Alter von 6 Jahren erwartet werden. Einfluss auf das Verständnis hat die Komplexität des Sprachbildes, die Bekanntheit der Metapher, die Häufigkeit der Verwendung im Umfeld des Kindes sowie seine Kompetenz, über Sprache nachzudenken. Metaphern sind sprachspezifisch, jede Sprache nutzt ihre eigenen Bilder. Sie können daher auch nicht wörtlich in eine andere Sprache übersetzt werden. Für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache stellt ihr Verständnis eine besondere Herausforderung dar. Sie müssen aber Metaphern verstehen, um an der Kommunikation gleichberechtigt teilhaben zu können.
Mündliche und schriftliche Texte: erzählen im engeren und weiteren Sinn
Alltagssprachlich versteht man unter einem Text in der Regel eine inhaltlich zusammenhängende schriftliche sprachliche Äusserung. In der Wissenschaft werden auch mündliche inhaltlich zusammenhängende sprachliche Äusserungen als Texte bezeichnet. Mündliche Erzählungen von persönlichen Erlebnissen, wie sie im Kindergartenalltag regelmässig z. B. im Morgenkreis erwartet werden, können daher der Kategorie mündliche Texte zugeordnet werden. Genauso unterscheidet sich das alltagssprachliche Verständnis des Begriffs «erzählen» von seiner linguistischen Bedeutung. Im Kindergartenalltag kann der Aufforderung, etwas zu erzählen, ein Bericht, eine Beschreibung, Schilderung, eine Erlebniserzählung oder auch eine Aneinanderreihung von Äusserungen folgen. Achhammer et al. (2019, S. 14) ordnen diese mündlichen Textformen unter Erzählen im weiteren Sinne ein.
Eine Erzählung im engeren Sinne ist eine Textsorte, die einem festgelegten Muster folgt. Es gibt eine Person, die erzählt und das Rederecht hat, und eine Person, die zuhört. Diese folgt der Erzählung und sichert durch Zwischenfragen ein gemeinsames Verständnis. Das Thema von Erzählungen entspricht einem abgeschlossenen Ereignis, das, um erzählwürdig zu sein, in irgendeiner Weise ungewöhnlich oder überraschend sein muss. Das Ereignis hat in der Regel zu einer Form von emotionaler Betroffenheit beim Erzählenden geführt. Diese kommt in der Erzählung zum Ausdruck. Die Elemente der Erzählung werden um diesen „interessanten“ Mittelpunkt angeordnet. Bei allen Erzählungen kommt es „auf die spannende Gestaltung der äusseren und inneren Handlung, der Handlungsmotive, der Stimmung der Protagonisten und die Lösung an.“ (Fix, 2008, S. 94)
Die Elemente der Erzählung lassen sich mit dem Mausschema als Grundgerüst von Erzählungen veranschaulichen.
Kohärenz und kohäsion – inhaltlicher zusammenhang von gesprächen, mündlichen und schriftlichen texten
Der Begriff der Kohärenz bezieht sich auf den inneren und äusseren Zusammenhang von etwas. Im Hinblick auf Texte meint Kohärenz den übergeordneten Zusammenhang (Makrostruktur) des Textes. Kohärenz entsteht dann, wenn der Text ein für die Lesenden oder Zuhörenden erkennbares Thema hat, das in einem nachvollziehbaren inhaltlichen Zusammenhang präsentiert wird. Ein typisches Muster für eine kohärente Erzählung ist das oben dargestellte Erzählschema aus Einleitung, Hauptteil und Schluss. Wichtig ist, dass die Personen und Charaktere, Ort und Zeit des Geschehens vorgestellt werden, die Ereignisse in nachvollziehbarer Reihenfolge beschrieben und es einen Abschluss gibt, der das Ende des Textes markiert. Mit Kohäsion ist der sprachliche Zusammenhang der Sätze eines Textes (Mikrostruktur) gemeint, er wird durch Kohäsionsmittel hergestellt. Häufig verwendete Kohäsionsmittel sind Pronomen (Restaurant hat sehr gute Schnitzel. Sie sind aber auch sehr teuer.), Wiederholungen (Rekurrenz) (Gestern waren wir im Restaurant fein essen. Das Restaurant war sehr voll.), Substitutionen (Ersetzungen) (Gestern waren wir im Restaurant Schnitzel essen. Das Fleisch war ausgezeichnet.)
Deixis
Deixis verbindet mündliche und schriftliche Texte mit grammatischen oder lexikalischen Mitteln, in dem auf Personen, Sachverhalte und Gegenstände verwiesen wird. Ganz konkret handelt es sich insbesondere um die Verwendung von Personal- und Possessivpronomen, Temporal- und Lokaladverbien, Demonstrativpronomen und Präpositionen. Deiktische Ausdrücke werden neben Nomen bereits früh im Wortschatzerwerb, d. h. ab einem Alter von 13–36 Monaten verwendet. (B. Achhammer, Büttner, Sallat, & Spreer, 2016; B. Achhammer et al., 2019; Kauschke, 1999).
Strukturierte, verbundene Erzählungen, die entsprechend dem oben dargestellten Mausschema aufgebaut sind, können Kinder normalerweise erst im Alter von 9 Jahren realisieren. Mit 3 Jahren beginnen Kinder meist, von Erlebtem zu erzählen. Ab etwa 5–7 Jahren können sie in der Regel das Thema einer Erzählung verständlich wiedergeben, die Teile der Erzählung sind jedoch meist noch unverbunden nebeneinander (isolierter Erzähltyp) oder werden linear miteinander verknüpft (vgl. Maibauer, 2013, S. 32) Damit Erzählungen so gelingen, dass die Zuhörenden den Inhalt verstehen und nachvollziehen können, benötigen Kinder die Unterstützung von erwachsenen Bezugspersonen. Ihre Fragen und Ergänzungen schaffen den Erzählrahmen (scaffolding). Das folgende Beispiel zeigt, wie eine Bezugsperson die Erzählung eines sechsjährigen Kindes unterstützt.
Erzählunterstützung (Knapp, 2010, S.46)
Kind: … ähm … weißt du noch [lacht] wie ich meinen Hasen bekommen hab?
Mutter: ne ‚ erzähl mal … im November war’s, gell
Kind: ja
Mutter: was ham’mer da gemacht erinnersch dich noch genau wie das ging
Kind: . im Schuhkarton hab ich ihn nach Hause gebracht … und dann hatten wir am Anfang gedacht . er wär krank ‚ weil er kein Futter gegessen hat
Mutter: und wie seht er aus?
Kind: schwarz . ganz schwarz mit nem [leise] mit ner weißen Schnauze … [wieder lauter]
Mutter: und wo hat er gewohnt bevor er zu uns kam?
Erwerb pragmatisch-kommunikativer Fähigkeiten
Während der Grammatik- und Wortschatzerwerb sowohl für den Erst- als auch für den Zweitspracherwerb sehr gut erforscht ist, gibt es immer noch relativ wenige Forschungen, die sich mit dem Erwerb der pragmatischen Kompetenz beschäftigen. Das ist so, obwohl die Bedeutung der pragmatischen Entwicklung unbestritten ist. Für den amerikanischen Verhaltensforscher Tomasello ist die Pragmatik sogar die wesentliche Grundlage des Spracherwerbs. (Tomasello, 2006)
Der Erwerb pragmatisch-kommunikativer Kompetenzen beginnt in der Phase des frühen Spracherwerbs. Er erfolgt in engem Zusammenhang mit Artikulation, Wortschatz und Grammatik. Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen der Sprache beeinflussen sich gegenseitig. Die Fähigkeit, sprachliche Äusserungen an die Kommunikationspartner und die Umgebung anzupassen, entwickelt sich also von Anfang an.
Trautmann (2008) unterscheidet zwei Phasen des Erwerbs der pragmatisch-kommunikativen Fähigkeiten. Die erste Phase erfolgt im familiären Kontext, hier erwerben die Kinder grundlegende Kompetenzen in Interaktion mit engen Bezugspersonen. Die zweite Phase bezieht sich auf die Aneignung pragmatisch-kommunikativer Kompetenzen, die in Kindergarten und Schule relevant sind. Mit dem Eintritt in einen institutionellen Kontext lernen Kinder neue Regeln und Abläufe der Kommunikationsorganisation, die in der Familie häufig nicht so relevant sind.
Erwerb pragmatisch-kommunikativer Kompetenzen
Bereits sehr früh im ersten Lebensjahr, schon mit ungefähr 2 Monaten, lassen sich kommunikative Intentionen bei Kindern nachweisen. Sie beginnen gezielt zu kommunizieren, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Solange ihre sprachlichen Mittel begrenzt sind, nutzen sie vornehmlich nonverbale Kommunikationsmittel. Durch Erkennen und Imitieren von Mimik, Gestik, Intonation und Prosodie treten sie in den kommunikativen Austausch mit der Umwelt. Als erste Sprechakte kann man Aufforderungen und Proteste betrachten. Zunehmende kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten und der Zuwachs an sprachlichen Mitteln sind die Grundlage für die weiteren Entwicklungen. Kinder können nun «einfache Handlungen wie Aufmerksamkeit-Heischen, Auffordern, Verlangen, Verneinen/Ablehnen, Hinweisen, Benennen» (Trautmann, Reich) bereits häufig mit sprachlichen Mitteln ausführen. Im ersten und zweiten Lebensjahr benötigen Kinder für die Kommunikation sehr viel Unterstützung von Erwachsenen, um ihre kommunikativen Ziele zu erreichen. Ab dem 3. Lebensjahr können sie Kommunikationssituationen zunehmend selbstständig bewältigen, Sprachverständnis und -produktion sind nicht mehr ausschliesslich kontext- und handlungsgebunden, da die Kinder nun über mentale Repräsentationen (innere Abbilder), Begriffe für etwas verfügen. Sie beginnen, mit Gleichaltrigen zu kommunizieren.
Im vierten Lebensjahr entwickelt ein Kind das Wissen darüber, dass andere Personen Wissen und Gefühle haben, die sich von der eigenen Wahrnehmung und Sichtweise der Welt unterscheiden. Diese kognitive Fähigkeit (theory of mind) führt zu einer zunehmenden Perspektivübernahme und erweitert die sprachlichen Handlungskompetenzen. Interaktion und Kommunikation mit anderen Kindern werden zum Motor der Entwicklung. Typische Sprachhandlungen in dieser Phase sind: Fragen, Bestätigen, Widersprechen, Darstellen von Erlebnissen und Wiedergeben von Erzähltem (Trautmann, 2008).
Der Eintritt in eine Bildungs- oder Betreuungseinrichtung (öffentliche und private Kinderbetreuung im Gruppensetting, Kindergarten) verändert die Bedingungen der Aneignung pragmatisch-kommunikativer Kompetenzen entscheidend. Der Personenkreis, mit dem kommuniziert wird, wird insgesamt grösser, die Personen sind zudem weniger vertraut. Ab einem Alter von 3 Jahren sind Kinder in der Lage, die in der Familie erworbenen kommunikativen Routinen auf neue Kontexte zu übertragen. Gleichzeitig werden sie spätestens im Kindergarten als Vorbereitung auf die Schule mit spezifischen institutionellen Kommunikationsanforderungen wie z. B. pädagogischen Fragen, Regeln des Sprecherwechsels in Gruppen, Anforderungen an Höflichkeit, Vorlesen von längeren Texten, selbstständigem Erzählen, Befolgen von zunehmend komplexeren Anweisungen sowie ersten Formen der schriftlichen Kommunikation konfrontiert. Das Bekunden von Wissen oder Nichtwissen, aber auch das Beantworten von W-Fragen oder das Beschreiben und Deuten von Bildern sind typische sprachliche Handlungen, die aus dieser Situation erwachsen.
Eine zusätzliche kommunikative Herausforderung im institutionellen Kontext ist Kommunikation mit einer grösseren Zahl von gleichaltrigen Kindern. Um erfolgreich zu sein, müssen Sprachhandlungen wie Anweisen, Vorschlagen, Bewerten, Begründen, Erklären und gemeinsames Planen adäquat ausgeführt werden können.
Zusammenfassende Darstellung wesentlicher Entwicklungsschritte im Bereich sprachliche Dimension der Pragmatik
Sprachliche Dimension der Pragmatik | 0-3 Jahre | 4-6 Jahre (Kindergarten) | Ab 6 Jahre (Schule) |
---|---|---|---|
Sprechakte | Aufforderungen, Hilfe, Beginn von Frage und Antwort im Zusammenhang mit Handlungen: behaupten, mitteilen, auffordern |
Rollenspiel, Requisitenspiel, vorschlagen, bewerten, begründen, Frage-Antwort-Muster, ankündigen, planen, instruieren, erzählen, nacherzählen, Meinung äussern und begründen | Aufgaben stellen, Aufgaben lösen, berichten, beschreiben, instruieren, Gefühle äussern, versprechen |
Implikaturen | relevante Kontextinformationen einbeziehen | Bewusstsein für Unterinformiertheit | Verständnis für Implikaturen und Ambiguitäten |
Dialog/Turn-Taking | erste dialogische Struktur über Bezugspersonen | Regeln Rederecht einhalten (Beginn), einfaches Turn-Taking mittels Pausen, Blicken, Prosodie | kompetentes Turn-Taking, auch am Telefon |
Reparaturen | unspezifisches Nachfragen | Modifizieren der eigenen Äusserung | gezielte Reparaturen |
Höflichkeit | erste Anpassung an Kommunikationspartner | indirekte Aufforderung gegenüber Erwachsenen | kulturell angepasste Höflichkeitsformen |
Ironie | – | – | beginnendes Verständnis von Ironie |
Humor | inkongruente Aktionen mit Objekten | Sprachspiele/Wortwitz: Reime, Nonsens-Wörter | Freude an Mehrdeutigkeiten, Erzählen von Witzen mit Pointen |
Metapher | – | – | Verstehen der nichtwörtlichen Bedeutung |
Kohärenz | Beschreiben von Ereignissen | Beginn Erzählfähigkeit, Aneinanderreihungen | Erwerb der Geschichtengrammatik |
Kohäsion | erste Nebensätze, additive Konnektive | Verwendung von Pronomen, Anzeigen neuer Information | vielfältige Kohäsion: kausale, temporale, adversale Konnektive |
Präsupposition | – | erste Anpassung an Gesprächspartner | kompetente Anpassung an Gesprächspartner |
(Achhammer et al., 2016, S. 55)
Sprachförderung in der Zweitsprache Deutsch
Die Sprachkompetenz in der Schulsprache ist die Schlüsselkompetenz für den Schulerfolg. Der vorschulischen Sprachentwicklung und der Sprachkompetenz bei Schuleintritt wird daher eine hohe Bedeutung beigemessen. Die jüngste PISA Studie (PISA, 2018) hat erneut u.a. für die Schweiz gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund häufig aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen der Schulsprache von Bildungsbenachteiligungen betroffen sind. Es besteht Einigkeit über die Relevanz der Sprachförderung in der Zweitsprache Deutsch, um Bildungsbenachteiligungen entgegenzuwirken.
Die Förderung in Deutsch als Zweitsprache ist in den Kantonen der Deutschschweiz im Rahmen der sonderpädagogischen Massnahmen geregelt. Alle Lernenden mit Deutsch als Zweitsprache haben einen Anspruch auf zusätzliche Sprachförderung in der obligatorischen Schule. Welche Konzepte und Methoden der Förderung zugrunde liegen und welche Qualifikationen die Lehrenden benötigen, ist in den Kanton sehr uneinheitlich geregelt. Bisher gibt es noch keine Studien zur Wirksamkeit der Förderung in Deutsch als Zweitsprache aus der Schweiz. Eggert und Hopf (2018) zeigen anhand einer Metanalyse von Studien aus Deutschland, dass die Erkenntnislage zur Wirksamkeit der Sprachförderung bei mehrsprachigen Kindern im Kindergartenalter insgesamt noch dürftig ist und nur wenige der zahlreichen Sprachförderprogramme als evidenzbasiert bezeichnet werden können.
Um die Wirksamkeit unterschiedlich Sprachfördermassnahmen zu überprüfen und die unterschiedlichen Konzepte und Methoden zu vergleichen, ist es notwendig, ihre theoretischen Grundlagen und ihre Zielsetzung sowie die Methoden und Lehrstrategien differenziert zu beschreiben. Im Folgenden werden zunächst die Lehr und Vermittlungsstrategien im Zweitsprachunterricht und folgend die zentralen Aspekte der Konzepte dargestellt und auf die Anforderungen des Forschungsvorhabens bezogen.
Lehr- und Vermittlungsstrategien
Grundsätzlich müssen Vermittlungs- oder Lehrstrategien im Unterricht von Fremd- und Zweitsprachen von den didaktischen Konzepten unterschieden werden.
Beim Sprachenlehren werden explizite und implizite Vermittlungsstrategien verwendet. Diese Differenzierung, die aus dem Fremdsprachunterricht stammt und auch in der Sprachtherapie verwendet wird, kann für Beurteilung von Sprachförderkonzepten in Deutsch als Zweitsprache genutzt werden (Gasparini, 2004), denn die Vermittlungskonzepte beziehen sich auf Sprachlernen im Allgemeinen.
Bei impliziten Vermittlungsstrategien steht die kommunikative Auseinandersetzung mit potenziell interessanten Inhalten im Mittelpunkt. Die Lernenden haben Gelegenheit, ihren Wortschatz beiläufig zu erweitern und aus dem wohlgeformten Input intuitiv sprachliche Regelmäßigkeiten abzuleiten Auf explizite Vermittlung von Regelwissen wird weitestgehend verzichtet. Man geht davon aus, «dass sich Kinder mit Migrationshintergrund sprachliche Merkmale des Deutschen intuitiv erschließen – vorausgesetzt sie erhalten ein entsprechendes sprachliches Angebot» (Polotzek, Hofmann, Roos, & Schöler, 2008). In der Sprachtherapie und Sprachförderung wird insbesondere die Methode der Inputspezifizierung dem impliziten Sprachlernen zugerechnet. Durch die Menge, Qualität und Frequenz des sprachlichen Inputs soll die Aufmerksamkeit des Kindes auf die zu erlernenden grammatischen Strukturen oder den Wortschatz gelenkt ohne, dass eine explizite Instruktion oder Reflexion hierzu angeboten wird.
Im Rahmen expliziter Vermittlungsstrategien werden formale Aspekte der Sprache zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. Der Fokus liegt nicht primär auf dem Bedeutungsaspekt der Sprache, sondern auf sprachlichen Strukturen und der Vermittlung grammatischen Regelwissens.
Von der Vermittlungsperspektive muss die Erwerbsperspektive klar unterschieden werden. Darsow et al. (2012,S.66) weisen darauf hin, « dass die didaktische Ausrichtung der Förderung keine eindeutige Aussage über den Lernprozess (explizites vs implizites Lernen) oder die Art der Speicherung und die Möglichkeit des Abrufs der Wissensinhalte (implizites vs. explizites) Gedächtnis erlaubt.» Lernende können im Rahmen einer impliziten Förderung durch eigene Reflexionen explizites Wissen erwerben. In einem auf den Erwerb expliziten Regelwissens angelegten Lehrgang können Lernende trotzdem implizites Wissen erwerben, ohne dieses explizit z.B. als Regel formulieren zu können.
Die Frage der Wirksamkeit von expliziten und impliziten Vermittlungsstrategien ist bisher nicht abschliessend geklärt, die Ergebnisse vorhandener Metaanalysen aus dem Fremdspracherwerb von Erwachsenen lassen sich nicht ohne weiteres auf das Sprachenlernen von Kindergarten und Grundschulkinder übertragen.
Kany & Schöler (2007) stellen die Wirksamkeit von impliziten Lernstrategien beim Lernen von Deutsch als Zweitsprache in Frage. Die Autoren sind der Auffassung, dass Kindern ab ca. 4 Jahren Sprachreflexionsstrategien zur Verfügung gestellt werden sollten, da sie die Zweitsprache auf der Grundlage ihres Sprachwissens über ihre Erstsprache erlernen. Explizites Sprachlernen erfordert die bewusste Auseinandersetzung des Kindes mit den Regeln und Strukturen der zu erlernenden Sprache. Explizite Lehrstrategien sind ein Bestandteil von vielen Sprachförderkonzepten (Schneider et al., 2012) die Wirksamkeit der Strategie wurde aber bisher noch nicht nachgewiesen.
Sowohl für die Sprachtherapie als auch für die Sprachförderung (von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache) wird aktuell von verschiedenen Autoren die Kombination von expliziten und impliziten Vermittlungsmethoden empfohlen und als gängige Praxis bezeichnet. Eine Untersuchung von Tammenga-Helmantel, Arends, and Canrinus (2014) zeigte, dass sowohl mit impliziten und expliziten Methoden isoliert angewendet Erfolge erzielt werden können. Die Autoren schlagen daher eine gut begründete Methodenkombination vor.
Kauschke und Rath (2017) gehen der Frage der Wirksamkeit von impliziten, expliziten oder kombinierte Vermittlungsstrategien beim Grammatikerwerb von mehrsprachigen Kindern in der Sprachförderung nach. Es zeigt sich, dass anders als in den meisten Konzepten der Sprachförderung empfohlen die Kombination von impliziten und expliziten Methoden einer rein impliziten Förderung nicht überlegen ist.
Konzepte der Zweitsprachförderung
Der Fremdspracherwerb unterscheidet sich zwar durch den Erwerbskontext, die Lernbedingungen und das Alter der Lernenden vom Zweitspracherwerb, doch Forschungen zeigen, dass sich die Konzepte grundsätzlich auf den Unterricht bzw. die Förderung in einer Zweitsprache übertragen lassen.
Aktuell existieren 3 Ansätze zur Förderung von Lernenden mit Deutsch als Zweitsprache. Focus on Form (FoF), Focus on Meaning (FoM) und Focus on Forms (FoFs). Diese Einteilung ist geeignet, um die Konzepte zu differenzieren, in der Praxis von Unterricht und Förderung werden sie selten in Reinform umgesetzt. Die Ansätze unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch, ob Sprache hauptsächliche als Lerngegenstand zum systematischen Erwerb grammatischer Strukturen betrachtet wird oder als Werkzeug oder Medium zur erfolgreichen Bewältigung von Kommunikationssituationen im Alltag.
Focus on FormS (FoFs)
Im Ansatz Focus on Forms wird Sprache im Wesentlichen als Lerngegenstand betrachtet. Das theoretische Verständnis zum Fremd- oder Zweitspracherwerb beruht auf der Vorstellung vom Erlernen einer Sprache im Gegensatz zur aktiven Aneignung. Rotter (2015 S.29) erläutert diese Sichtweise mit Bezug zu Sheen (2002) als «skill-building approach, der auf kognitive Prozesse beim Sprachenlernen setzt». «Es werden bewusste Lernprozesse angeregt mit dem Ziel der Regelfindung und Regelableitung. Dem Monitor als Überwachungsinstanz kommt dabei eine zentrale Rolle zu.» (ebd. S. 29) Inhalte und Texte werden danach ausgewählt, ob sie geeignet sind, Strukturen und Regeln zu vermitteln. Die Komplexität der Sprache wird gegenüber der alltäglichen Kommunikationssituationen so reduziert, dass einfache vor komplexen, regelmässige vor unregelmässigen und häufige vor seltenen Strukturen präsentiert werden. Es können sowohl explizite Lehrstrategien durch Erläuterung der Regeln anhand von Beispielen der Sprachstrukturen oder auch implizite durch eigenständiges Erschliessen der Regeln durch die Lernenden oder die Arbeit mit Analogien genutzt werden. Grammatische Strukturen oder Wortschatz werden anhand von passend strukturierten Übungsmaterialien geübt, dabei ist der Bezug zur bedeutungsvollen Alltagskommunikation nachrangig. Metasprache in Form von Reflexion sprachlicher Regeln wird von den Lehrenden regelmässig und systematisch eingesetzt. Die Hauptkritik am Konzept FoFs ist der fehlende Bezug zur Sprachpraxis im Alltag, Lernende haben häufig Schwierigkeiten ihr Regelwissen auf sprachliche Anforderungen zu übertragen. (Darsow et al., 2012; Rösch & Stanat, 2011; Rotter, 2015)
Focus on Form (FoF)
Das Konzept Focus on Form positioniert sich zwischen den beiden oben dargestellten Ansätzen des Fremd- und Zweitunterrichts. Im Zentrum stehen Kommunikations- und Interaktionssituationen, in die Übungen zu sprachlichen Formen integriert oder mit ihnen verbunden werden. Theoretische Grundlage des Konzepts ist die Noticing Hypothese von Schmidt (1990). Der Autor vertritt die Auffassung, dass Lernende Zweit- oder Fremdsprachen nicht nur durch ein «Sprachbad» erwerben, sondern dass sie ihre Aufmerksamkeit bewusst auf das zu Erlernende richten müssen. Sie müssen sprachliche Strukturen im Input bemerken (noticing) und die Diskrepanz zwischen den eigenen Äusserungen und den Strukturen des Inputs erkennen (notiving the gap). Ziel des Ansatzes ist die Ausbildung von Sprachbewusstheit. Lernumgebungen und Kommunikationssituationen müssen so gestaltet werden, dass Lernenden sich die Bedeutung von Sprachformen in Kontexten erschliessen können. Missverständnisse in der Kommunikation oder Verständnislücken führen zu Aushandlungsprozessen zwischen den Kommunikationspartnern und anschliessend zur Veränderung der Sprachstrukturen oder des Wortschatzes. Lehrkräfte geben formbezogenes Feedback durch z.B. durch Scaffolding oder Modellierungen. Der Ansatz Focus on Form ist immer in der Gefahr in die Nähe der Formfokussierung zu geraten. Der Ansatz ist aber kontextgebunden und durch eine durchgängig induktive Vorgehensweise gekennzeichnet. Im Zentrum stehen die Lernenden nicht die zu erlernende Form, Lernende werden unterstützt Regelhaftes zu entdecken und sich selbst anzueignen. (Darsow et al., 2012; Rösch & Stanat, 2011; Rotter, 2015)
Focus on Meaning (FoM)
Im Mittelpunkt des Konzepts Focus on Meaning steht die Kommunikation über Themen und Inhalte des Unterrichts bzw. der Förderung. Darsow et al. (2012) beschreiben die theoretischen Grundlagen des Ansatzes in Anlehnung an Krashen (1985). Der Autor unterscheidet zwischen Erwerb und Erlernen einer Zweit oder Fremdsprachen. Im unbewussten Erwerb eignen sich die Lernenden die Strukturen in Interaktion und Kommunikation an, ohne sich darauf zu konzentrieren, das Erlernen hingegen führt zu Sprachwissen und stellt eine Kontrollinstanz zur Überprüfung der Korrektheit der Sprachstrukturen zur Verfügung. Das Ziel des Konzepts ist, die Lernenden zu befähigen, alltägliche Kommunikationssituationen erfolgreich zu bewältigen. Den Lernenden die Zweitsprache werden mit einem reichhaltigen thematisch eingebetteten Sprachangebot konfrontiert. Im Vordergrund steht die Auseinandersetzung mit den an kommunikativen oder fachlichen Bedürfnissen ausgewählten Inhalten. Aufgaben, Instruktionen und Rückmeldungen beziehen sich auf Inhalte, Form und Struktur der Sprache werden nicht thematisiert. (Darsow et al., 2012; Rösch & Stanat, 2011; Rotter, 2015)
Die Tabelle von Rösch and Stanat (2011S. 155f.) gibt einen zusammenfassenden Überblick über die Konzepte bezüglich der zentralen Kategorien.
Focus on FormS | Focus on Form | Focus on Meaning | |
---|---|---|---|
Leitgedanke | das Sprachsystem wird sukzessive und als Ganzes eingeführt und eingeübt | ausgewählte sprachliche Strukturen werden in ihrem Form-Funktionszusammenhang erworben | Sprache wird durch Verstehen und erfolgreiche Kommunikation erworben |
Kontext | Inhalte dienen zur Illustration der zu erwerbenden Regel | Inhalte haben eine über die Formbetrachtung hinaus gehende Bedeutung | Inhalte dienen als Kommunikationsgrundlage |
Ziel | Regelwissen und Regelkönnen | formale Korrektheit | vorwiegend impliziter Spracherwerb |
Input | als Beispiele für die Formenvermittlung vor | etabliert thematischen Rahmen, verbindet Form mit Bedeutung | liefert verständlichen Input, dessen Bedeutung ggf. ausgehandelt wird |
Prozess | Anleitung zu regelkonformer und situationsunabhängiger Sprachverwendung | Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Form | Orientierung an thematischen Inhalten bei hohem Redeanteil der Lernenden |
Feedback in Bezug auf sprachstrukturelle Aspekte | direkt, metasprachlich, formbezogen | entfaltend, reaktiv, output-fordernd | indirekt durch Recasts |
Rolle der Instruktion und Metasprache | die Instruktion thematisiert die Sprachstrukturen in toto thematisiert, stark lenkend, folgt grammatischer Progression, Metasprache im Feedback und in den Aufgaben | die Instruktion reagiert auf ein rezeptives oder produktives Sprachproblem, lenkt je nach Lernstand, Verwendung von Metasprache nur bei tragfähigen Regeln | die Instruktion bezieht sich ausschließlich auf die Inhalte und das Erfassen sowie Kommunizieren von Konzepten und Begriffen, keine Verwendung von Metasprache |
Aufgaben | Aufgaben zum Verstehen, Üben und Anwenden der Regel; Distanzierung vom Inhalt | Aktivitäten zum Bemerken der „Lücke“ und Erkennen von Form-Funktionszusammenhängen | inhaltsbezogene, kommunikative Aktivitäten |
Literatur
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