Aktuelle Forschung – kompakt

4. Zusammenhänge von Schreibförderungs- und Feedbackpraktiken mit der Textqualität

Das Schreiben ist eine Schlüsselkompetenz für Bildungserfolg, beruflichen Aufstieg und gesellschaftliche Partizipation. Viele Lernende stehen jedoch vor erheblichen Herausforderungen beim Verfassen von Texten, wobei insbesondere herkunftsbedingte Unterschiede deutlich erkennbar sind. Um Ungleichheiten in der literalen Kompetenzentwicklung zu verringern, sollte der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit in der Schreibförderung besondere Beachtung geschenkt werden. Hier hat sich die prozessorientierte Schreibförderung, die Planungs- und Überarbeitungsstrategien vermittelt und das Überarbeiten von Texten auf Basis von Feedback ermöglicht, empirisch als besonders wirksam erwiesen. Prozessorientierte Schreibmodelle, die seit den 1980er-Jahren entwickelt wurden, betrachten Schreiben als komplexen Problemlöseprozess, der kognitive Subprozesse wie Planen, Schreiben und Überarbeiten umfasst. Während fortgeschrittene Schreibende diese Prozesse ineinandergreifend und erfolgreich ausführen, fehlen weniger erfahrenen Schreibenden oft die nötigen Strategien. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang ein effektives Feedback im Schreibunterricht, das detaillierte Informationen zu Schreibzielen, aktuellem Leistungsstand und Verbesserungsvorschlägen (Feed Up, Feed Back, Feed Forward, vgl., Hattie & Timperley, 2007) beschrieben). Empirische Studien zeigen, dass regelmässiges, als hilfreich wahrgenommenes, formatives Feedback während des Schreibprozesses eine stärkere Wirkung hat als summatives Feedback. Neuere Ansätze betonen zudem den dialogischen Charakter von Feedback, der die Wahrnehmungen und Reaktionen der Lernenden berücksichtigt. Ebenso haben sich Methoden wie das Modellieren von Schreibstrategien durch Lehrpersonen, der Vergleich mit Modelltexten und die Nutzung von Feedbackbögen als besonders lernförderlich erwiesen. Auch Peerfeedback spielt im prozessorientierten Unterricht eine wichtige Rolle für die Lernenden, doch empirische Untersuchungen legen nahe, dass Feedback im Unterricht selten genutzt wird. Zudem mangelt es an Forschung zur wahrgenommenen Qualität von Feedback, obwohl diese für dessen Wirksamkeit entscheidend ist. In diesem Zusammenhang deuten internationale Studien darauf hin, dass Lernende aus Minderheiten häufiger negatives Feedback von Lehrpersonen erhalten, was auf Unterschiede in der Wahrnehmung von Feedbackpraktiken in Abhängigkeit vom Migrations- oder sprachlichen Hintergrund hinweist. Der Zusammenhang zwischen Feedback und Schreibleistungen, ist bislang kaum erforscht, insbesondere im Hinblick auf verschiedene Feedback-Komponenten wie Feed Up, Feed Back und Feed Forward.

Der Beitrag von Müller, Utesch und Busse (2023) untersucht gängige Schreib- und Feedbackpraktiken und analysiert, inwieweit migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und andere herkunftsbezogene Merkmale Unterschiede in der Textqualität erklären können. Die Daten dieser Studie stammen aus dem Interventionsprojekt «WeLiKe Feedback», das Lehrpersonen in prozessorientierter Schreibförderung und Feedback im Kontext migrationsbedingter sprachlicher Diversität schulte. Die vorliegende Analyse bezieht sich auf den ersten Messzeitpunkt vor der Fortbildung und untersucht eine Stichprobe von 208 Neuntklässlern an nicht-gymnasialen Schulformen in Deutschland. Die Stichprobe umfasst etwa 50% Lernende mit Migrationshintergrund und variiert in der Familiensprache.  Alle Lernenden gaben an, dass ihre Eltern das Fach Deutsch als wichtig erachten. Jedoch berichteten vor allem Lernende mit Migrationshintergrund oder nicht-deutscher Familiensprache, dass ihre Eltern sie im Fach Deutsch weniger unterstützen können. Diese Unterschiede waren statistisch signifikant und zeigten einen grossen Effekt, besonders im Vergleich zu Lernenden mit Deutsch als Familiensprache. Die Korrelationsanalysen ergaben signifikante, positive Zusammenhänge zwischen Textqualität und Feedbackqualität sowie Feed Forward zur Textentwicklung. Die Studie verdeutlicht, dass die Häufigkeit von Feedback keinen Einfluss auf die Textqualität hat, während die Feedbackqualität, gemäss den Kriterien von Hattie und Timperley (2007), einen signifikanten Beitrag zur Verbesserung der Textqualität leistet. Besonders auffällig ist, dass das Feed Forward zur Textentwicklung nur bei Lernenden ohne Migrationshintergrund signifikante Effekte auf die Textqualität zeigte, während Lernende mit Migrationshintergrund nicht in gleichem Masse davon profitierten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Feedbackpraktiken im Kontext migrationsbedingter Mehrsprachigkeit stärker zu erforschen und zu optimieren, um eine effektivere und individualisierte Schreibförderung zu gewährleisten. Zudem kann die fehlende Unterstützung im Elternhaus durch gezielte Fördermassnahmen im Unterricht ausgeglichen werden. Die Befunde unterstreichen zudem, dass die prozessorientierte Schreibförderung im Deutschunterricht der Sekundarstufe verstärkt werden sollte. Dabei wird die Bedeutung einer qualitativ hochwertigen und differenzierten Feedbackgestaltung, die auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden zugeschnitten ist, hervorgehoben.

Quelle: Müller, N., Utesch, T. & Busse, V.  (2023). Qualität statt Quantität? Zum Zusammenhang von Schreibförderungs- und Feedbackpraktiken mit Textqualität unter Berücksichtigung von migrationsbedingter Mehrsprachigkeit. Unterrichtswissenschaft 51: 169–198

https://doi.org/10.1007/s42010-023-00173-2

Zusammengefasst von Aysel Kart

 

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