Aktuelle Forschung – kompakt

3. Die Rechtschreibleistung ein- und mehrsprachiger Schüler:innen: Fehlerraten und Fehlerarten

Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 stehen die sprachlichen Kompetenzen von Kindern mit Migrationshintergrund sowie eine potenzielle Benachteiligung mehrsprachiger Schüler:innen im deutschsprachigen Raum im Zentrum der Sprachdidaktik und Mehrsprachigkeitsforschung.  Im Kern dreht sich die Debatte um die Frage, inwieweit sich mehrsprachige Kinder und Jugendliche in spezifischen sprachlichen Kompetenzen von einsprachigen unterscheiden und welche Implikationen dies für den Unterricht sowie die Förderung von Deutsch als Zweitsprache hat. Die Erkenntnisse aus der Forschung legen nahe, dass eine gezielte Förderung der sprachlichen Fähigkeiten insbesondere für mehrsprachige Schüler:innen von zentraler Bedeutung ist, um Bildungsbenachteiligungen zu vermeiden und Chancengleichheit zu fördern. Es besteht Einigkeit darüber, dass diese Überlegungen weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung des Sprachunterrichts und die Entwicklung von Förderprogrammen im schulischen Kontext haben. Im Kontext des Schriftspracherwerbs und bildungssprachlicher Kenntnisse kommt der Rechtschreibung eine wesentliche Rolle zu, da sie nicht nur die sprachliche Präzision, sondern auch den Zugang zu bildungssprachlichen Anforderungen massgeblich beeinflusst.

In der aktuellen Rechtschreibforschung wird besonders die Rolle von Syntax, Morphologie und Phonologie im Bereich Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache (DaZ/DaF) betont. Dabei steht die phonologische und grammatische Bewusstheit im Fokus, da explizites linguistisches Wissen als förderlich für das Verständnis orthographischer Regeln gilt. Die Rechtschreibung bietet ein Regelsystem, das phonologische, morphologische und syntaktische Merkmale visuell markiert, die im gesprochenen Deutsch schwer erkennbar sind, und ermöglicht Lerner:innen eine flexible Auseinandersetzung mit sprachlichen Strukturen. Der Einfluss des sprachlichen Hintergrunds auf die Rechtschreibleistung ist weiterhin umstritten. Während einige Studien keinen Effekt der Mehrsprachigkeit auf die Rechtschreibung im Deutschen nachweisen konnten, berichten andere von negativen oder positiven Effekten. Beispielsweise zeigten simultan mehrsprachige Jugendliche in der DESI-Studie bessere Leistungen, während späte Mehrsprachige schlechter abschnitten.

In diesem Zusammenhang untersuchte die Studie von Caroline Ruppert und Adriana Hanulíková die Rechtschreibleistung von 130 ein- und mehrsprachigen Jugendlichen mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache. Im Fokus standen dabei die Unterschiede in der Rechtschreibleistung, gemessen an der Anzahl und den Typen von Rechtschreibfehlern. Zudem wurde erforscht, welche Faktoren, wie der sozioökonomische Status, das Vorwissen oder das Leseverhalten, die Rechtschreibleistung am besten vorhersagen können. Weiter stellten sich die Autor:innen die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit und Rechtschreibleistung besteht, wenn andere Einflussfaktoren berücksichtigt werden.

Die quantitative Analyse der Rechtschreibleistungen der Jugendlichen zeigt Unterschiede je nach Sprachgruppe. Dabei wurde die Schulart als bedeutendster Prädiktor für die Rechtschreibleistung identifiziert. Eine detaillierte Analyse der Fehlerverteilung nach Schultyp zeigte, dass Schüler:innen an Gymnasien weniger Fehler machten als an Realschulen und Hauptschulen. In einer weiteren Analyse wurde festgestellt, dass neben der Schulart auch der sozioökonomische Status, der Wortschatz und das Geschlecht signifikante Einflussfaktoren auf die Rechtschreibleistung haben. Jugendliche mit höherem sozioökonomischen Status und besseren Wortschatzkenntnissen sowie Mädchen schneiden besser ab. Die Mehrsprachigkeit allein war kein signifikanter Prädiktor für Rechtschreibfehler, wenn andere Einflussfaktoren kontrolliert wurden. Die qualitative Analyse der Fehlerarten zeigte, dass die Verteilung der Fehlerkategorien zwischen den Sprachgruppen ähnlich war, wobei die Gross- und Kleinschreibung die häufigste Fehlerkategorie darstellte. Die Befunde legen nahe, dass DaZ-Jugendliche im Vergleich zu einsprachigen Jugendlichen mit Deutsch als Erstsprache signifikant schlechter

  • bei der Getrennt- und Zusammenschreibung
  • bei der Gross- und Kleinschreibung
  • der Morphologie und
  • der lauttreuen Schreibung abschnitten.

Aus der Untersuchung geht zudem hervor, dass simultan mehrsprachige Jugendliche die besten Rechtschreibleistungen erbringen, während späte Zweitsprachler:innen die schwächsten Leistungen zeigen. Der sozioökonomische Status wird hierbei als der stärkste Prädiktor für die Rechtschreibleistung betrachtet. Zusammenfassend geht aus der Studie hervor, dass soziale und individuelle Unterschiede, insbesondere der sozioökonomische Status und die Wortschatzkenntnisse, grössere Auswirkungen auf die Rechtschreibleistung haben als die Mehrsprachigkeit. Die Befunde verdeutlichen, dass eine differenzierte Analyse individueller Unterschiede, die eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt, unerlässlich ist, um eine gerechte Leistungsbewertung zu ermöglichen und differenzierte Fördermassnahmen zu entwickeln sowie nachhaltige Zukunftsperspektiven zu schaffen.

Quelle:  Ruppert, C. & Hanulíková, A. (2022) Die Rechtschreibleistung ein- und mehrsprachiger Schüler:innen: Fehlerraten und Fehlerarten. In: K. Nimz, K. Schmidt, C. Noack (Hrsg.) Mehrsprachigkeit und Orthographie. Empirische Studien an der Schnittstelle zwischen Linguistik und Erziehungswissenschaft. Hohengehren: Schneider Verlag. DOI:10.3278/9783763973644

Zusammengefasst von Aysel Kart und Karin Zumbrunnen

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